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Rezension zu "Die Welt ist groß und Rettung lauert überall"

von Ilija Trojanow

 

 

Die eingerückten Rezensionen aus den Printmedien treffen ihren Gegenstand zwar insgesamt, berücksichtigen aber nicht seinen Charakter als Picaro, d.h. Schelmenroman, der bekanntlich mit der Geburt des Helden anhebt. In diesem Genre nun ist (fast) alles möglich, zudem zeigt es den Vorzug, eine chaotische und unübersichtliche Welt besser als andere Gattungen fassen zu können, indem der ausgebreitete Aberwitz stets als Exempel begriffen werden kann: Zumeist verweist die Einzelheit aufs Ganze.


Daher verbietet es sich, Trojanow flüchtig zu lesen, denn er schreibt bereits in seinem Erstling Kunstprosa:
Entworfen werden vier Lebensbereiche, die unterschiedliche Überlebensstrategien einfordern: Die diktaturgeplagte Heimat Bulgarien, das italienische Flüchtlingslager, die Asylantenexistenz in Deutschland, schließlich der Aufbruch in die Welt.
Auffällig wenig wird das deutsche Exil bedacht, beinahe erscheint Alexandar so gefangen wie ehemals, weil der äußeren Freizügigkeit die innere fehlt, wie auch Sozialkontakte, die sinnstiftend wirken. Entwurzelt steht er allein, - den frühen Unfalltod seiner Eltern erfährt man nur beiläufig. Tatsächlich erkrankt er schwer, bezeichnenderweise vermag sich der Rekonvaleszent nach einer Operation nicht wieder dem Leben zuzuwenden.


Das 'Asylantenroulette' als missraten zu diffamieren, geht fehl: Es verschärft nicht nur die tagespolitische Instrumentalisierung der Asylbewerber zur zynischen Show, sondern verdeutlicht, weshalb Alexandar in solcher Inhumanität nicht zu wurzeln vermag. Daher schaltet er ja auch das TV-Gerät aus, was weit mehr leistet, als etwa eine Schilderung. Zudem greift Roulette dem letzten Teil vor, wie überhaupt Trojanow Bezüge stiftet: So verweisen z.B. die absurden bengalischen Artikulationsübungen 'Hohenzollern' auf Alexandars Quartier nächst dem Hohenzollernplatz.


Aus solcher Lethargie reißt ihn sein hochbetagter, indessen äußerst agiler Patenonkel und Lebenskünstler Bai Dan in die Welt zurück. Scheinbar liegt da ein Bruch, doch schon vorher fand sich wiederholt Surreales wie das Leichbegängnis Shivkovs, nunmehr trägt die anschließende ausgreifende Reise auf dem Tandem phantastisches, beinahe orientalisch-märchenhaftes Gepräge. Gegenüber ihrer zumeist realitätsnahen Vorgeschichte kann sie nur als Gleichnis begriffen werden: Reisefreiheit galt den Bürgern kommunistischer Diktaturen als Freiheit schlechthin, doch meint Reise concettistisch Er-Fahrung und das Glücksspiel, mit dem der Onkel alle Kosten bestreitet, das Spiel des Lebens überhaupt, den souveränen Umgang damit, in dem bekannten Sinne, dass der Mensch nur dann ganz Mensch sei, wenn er spielt: homo ludens. Demgegenüber erscheinen die begegnenden Besitzbürger unfrei. So gewinnt auch Alexandar zunehmende Sicherheit im Spiel; wie es sie begann, so beendet es die Handlung.


Trojanow kann lebendig erzählen, anschaulich schildern und Charaktere durchbilden, und sein Humor reicht von Verschmitztheit bis zum Sarkasmus; gattungsgerecht spricht der ironische Erzähler oft den Leser an. Indessen hängen seinem mehrperspektivischen Erstling in verschachtelter, allerdings überschaubarer Struktur noch manche Modernismen im Erzählstil an, der darum öfter uneinheitlich wirkt; das ganze Instrumentarium wird bemüht, von Einwortsätzen, monomanischer Wiederholung wie: 'ein Laufstall neben Bett neben Gobelin neben Schrank neben Fenster neben Gobelin...' u.s.w bis zu innerem Monolog und Bewusstseinsstrom. Noch fehlt die durchgeführte Rhythmisierung, auch finden sich Überspitzungen, darunter manche nicht passgenauen Metaphern.
Indessen gibt der bemerkenswerte Erstling schon alle Tugenden mehr oder minder deutlich zu erkennen, die später den schlackenlosen 'Weltensammler' zum überragenden Meisterwerk erheben, wo Manieriertheiten sich zu künstlerischem Hochmanierismus adeln.

- Dr. Phil. F. Ruff

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