Die Welt ist eine Katze
Lautlos versichert die Welt mir,
dass sie da ist, geduldig,
augenblicklich, immer von neuem:
der Staub, in der Hitze flimmernd,
auf den Daumen der Hammer,
mit ihren Krallen die Katze,
auch jene fliehende Wolke dort,
die der Wirklichkeit
so leicht keiner nachmacht.
Sie fragt nicht nach euch,
liebe Mystiker, äußert sich nicht,
wenn ihr sie wieder einmal für Augentrug haltet.
„Konstruktivismus“
Philosophengemurmel,
physikalische Träumereien,
„ein paar Quarks und sonst nichts“,
lässt sie auf sich beruhen.
Sie hört nicht auf euch, die Welt
mit ihren Katzenaugen.
Sie lässt euch reden, geduldig,
so lang,bis sie zuschlägt
mit ihren Krallen, spielt
noch ein Weilchen mit euch,
vergisst euch und bleibt.
Hans Magnus Enzensberger
Umkehrprobe
für Hans Markus Enzensberger
Ich lese: Die Welt ist eine Katze.
Sie schert sich nicht um uns.
Unsere mystischen Träume berühren sie nicht
Unbestimmt bleibt sie von den Maßnahmen unserer Denker
Schlägt zu und vergisst uns
Selbst unerkannt.
Doch weiß ich es besser - anders löst man die Ungleichung -
Und sage:
Die Katze ist eine Welt.
Gezeugt aus der Zweiheit gelangt sie zur Vielheit in Eins.
Wird sie geboren entsteht eine Welt - und stirbt mit ihr.
Dazwischen die Lebensspanne
Vierfüßiger Spagat über der Zeit
Schöpferin des Kosmos! Das All zu ihren Pfoten
Der Eingang zum Gesetz eine Katzentüre
Versperrt und offen nur für sie.
Sie nimmt den Kampf auf
Knüpft das neuronale Netz mit Ohr und Auge Gefühl und
Verstand auch wie ich meine.
Bis zu den Grenzen ihrer Welt.
Spannt ihre Muskeln
Tanzt Shivas Gesetz
Spielt und herrscht
Herrin eines Universums
Bastet
Spricht
Ich bin die ich bin
Und ich begreife
Es gibt keinen Raum für Zweifel im Haus des Seins.
Die Katze ist eine Welt.
Jede Katze ein Universum
Wie viele Katzen! Wie viele Universen existieren mit ihnen?
Fremde Welten sind es
Manchmal kommen sie näher berühren sich – verschmelzen nie
Die Einheit eine Illusion ...
Kleine Überschneidungen nur. Erfahrungen von Nähe:
Mutterwelt Geschwister die Liebe selbst
Vertraut
Doch nicht Eins.
Dann Beutewelten: flatterndes huschendes Leben ausgelöscht und nicht erkannt.
Schließlich wir die wir Unterwerfung fordern für Sicherheit.
Wie groß ist die Schnittmenge?
Welchen Namen geben wir ihr?
Die Katze ist eine Welt.
Eine von vielen
Sie braucht keinen Grund und fragt nicht nach Gründen.
So tanzt sie selbstgewiss im Tanz des Lebens und
Stirbt sie stirbt eine Welt.
Die Katze ist eine Welt
Wie alles was lebt
Wie jeder Mensch
Wie ich
unwissend.
Warum also frage ich nach dem Grund?
Warum suche ich das Wirkliche in der Illusion?
Vermute in flüchtiger Berührung die Einheit?
Während ich hinüberblicke zu dir gibst du den Blick mir zurück.
Leer.
Wie könnte es anders sein?
Denn gefangen bin ich wie du kleines Tier.
Ausgreift der Geist zu den Grenzen meiner Welt
Nicht weiter
Erkenne nicht und bleibe unerkannt.
Eine Welt unter vielen
Nicht mehr
Nicht weniger
Ingrid L. Ruff 2002