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III. Viktor Klemperer. Die Tagebücher

III. 2 Viktor Klemperer. Die Tagebücher

I. 1933-1945

II 1945 ff

Seit ich die Tagebücher gelesen habe, sind mehrere Jahre vergangen , und verständlicherweise sind mir nicht alle Formulierungen und täglichen Einträge präsent. Aber weil ich sie beim Lesen als unerhört wichtig empfand, haben sie sich eingenistet, sind in meinem Gedächtnis verankert, nicht nur um bei Bedarf erinnert zu werden, sondern weil ich sie inzwischen als Teil meiner Persönlichkeit ansehe wie alle prägenden Erlebnisse meiner Zeit. Was mich von Anbeginn gefesselt hat ist die schonungslose Selbstbetrachtung Klemperers, seine Analyse eigener auch verzeihlicher Schwächen, wie das heimliche Verzehren und Verschweigen der knapp bemessenen Rationen. Bald fiel mir auf: schon 1933 begleiten Klagen des an angina pectoris Leidenden seine Einträge zusammen mit der Gewissheit eines nahen Todes. Nun, wenn ich davon ausgehe, dass die Krankheit schon vor 1933 begann und die Klagen seine Einträge bis zum Lebensende begleiteten - hat Viktor Klemperer immerhin mehr als 30 Jahre überlebt. Wer weiß, vielleicht, hatte der befohlene Wintereinsatz des Schneeschippens, über den er ebenfalls klagt, sogar seiner Gesundheit genützt.. Sicher werden die Anfälle von angina pectoris als lebensbedrohlich empfunden, und ich bin eher geneigt, darüber zu lesen als über die Verdauungsbeschwerden von Thomas Mann.. Zu den 12 schlimmen Jahren gibt es inzwischen viele Dokumentationen und Romane, wobei ich die Romanliteratur am wenigsten schätze, keine Fiktion reicht an die unsägliche Realität heran.. Dokumentationen müssen per se einen gewissen Abstand wahren, während die Selbstzeugnisse einer Anne Frank, eines Willi Cohn, aber vor allem eines Viktor Klemperer mich stärker berühren.

Wo sonst findet sich eine ähnlich genaue Beschreibung eines mehrwöchigen Gefängnisaufenthaltes, zu dem er wegen unzureichender Verdunklung verurteilt wurde. Hier wie anderswo unterscheidet Klemperer zwischen willfährigen Erfüllungsgehilfen des Regimes, den Gleichgültigen und solchen, die versuchen ihm zu helfen. In den älteren Gefängnisbeamten trifft er auf Bedienstete des untergegangenen preußieschen Systems, die alle Gefangenen korrekt behandelten, wie sie es als selbstverständlich bis 1933 und danach gewohnt waren.

Bis in die Gefängnisse waren Gestapo und SS noch nicht vorgedrungen. So konnte eine Gefängnisstrafe lebensrettend wirken, sofern die Häftlinge nach der Verbüßung nicht in ein KZ überstellt wurden.

Dass Victor Klemperer vor KZ und Deportation bewahrt wurde hatte er vor allem seiner nichtjüdischen Frau zu verdanken, einer Musikwissenschaftlerin, die ihr eigenes wissenschaftliches Werk der Rettung ihres Mannes unterordnete. Von seiner protestantischen Kirche erhielt er wie alle evangelisch getauften Juden keine Unterstützung, was Klemperer zu Recht beklagt.: Die allgemeine menschliche Feigheit.

Umso dankbarer notiert er jede freundliche Geste, jede Unterstützung von nichtjüdischer Seite, was ihm Hoffnung gibt. Dass grade diese Hilfsangebote und Zeichen der Solidarität die drangsalierten Juden in ihrer deutschen Heimat ausharren ließen, bis es zu spät war, ist von besonderer Tragik. Andere Zufälle lassen eher schaudern. Die Zerstörung Dresdens am 14. Februar 1945 fiel zusammen mit dem geplanten Termin seiner Deportation, welcher dadurch buchstäblich ins Feuer fiel und im folgenden Chaos dem Ehepaar die Flucht nach Bayern ermöglichte. Erleichtert wurde beiden die Flucht auch durch die Tatsache, dass sie ihren geliebten schwarzen Kater Muschl einschläfern lassen mussten, auch eine schikanöse Anweisung ds Regimes. Wie schrieb Klemperer? Für jedes Härchen in seinem Fell würden diese Unmenschen bezahlen müssen. Wer weiß. vielleicht hat auch Kater Muschel durch seinen Tod erst die Flucht ermöglicht. Die Klemperers wären nicht die ersten gewesen, die aus Sorge um das geliebte Haustier die Gelegenheit zur Flucht versäumt hätten.

Kater Muschel ist es zu verdanken, dass ich die Tagebücher 1933-45 ein zweites Mal las. Auf der Suche nach einem Muschel-Eintrag las ich mich fest und begann erneut mit dem Jahr 1933.

II. 1945 ff -

Wen wundert's, dass ich wissen wollte, wie es Victor Klemperer und seiner Frau nach 1945 erging?

Mit Genugtuung las ich , dass sie ihr Haus wieder erhielten, dazu als Verfolgte des Naziregimes Wiedergutmachung verschiedener Art: Für ihn ein Sitz in der Volkskammer , Reiseerleichterung und manches mehr, Grund der neuen Regierung positiv gegenüber zu stehen. Leise Zweifel an der Rechtmäßigkeit einiger Aktionen verschweigt er nicht, zumal er als stimmberechtigtes Mitglied mitwirkt. Seine Zustimmung zur Todesstrafe für politischen Verrat macht ihm sichtlich zu schaffen, obwohl er sich mit Hinweis auf den Klassenfeind zu beruhigen sucht. Ob Klemperer gemerkt hat, wie leicht er vom politisch Verfolgten und Gedemütigten zu einer Galeonsfigur des kommunistischen Systems geworden ist? Ein Rollentausch unter vielen in jenen unruhigen Zeiten. Bei der Lektüre freute es mich besonders, bekannten Namen aus der DDR und auch des wiedervereinigten Deutschlands zu begegnen und sei es der kleine Gregor Gysi mit seiner Familie auf Besuch bei Klemperers....

Seine Professur der Romanistik kann Klemperer wieder aufnehmen und begegnet nach dem Tod seiner Frau in einer Schülerin seines Seminars unverhofftem persönlichen Glück. Keine Marienbader Elegie sondern Heirat mit heimlicher katholischer Trauung - ein Dresdner Happy – End. Später gemeinsame Reisen und u.ä. bis ihn im Jahr 19 8 der Herztod ereilt (letzte Worte: mach End oh Herr mach Ende ).

Ein Leben und eine Zeugenschaft, für die wir nicht genug dankbar sein können.

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