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IV. In Zeiten von Corona: Ist unsere Welt noch zu retten?

Überlegungen während des Lockdowns März- April 2020 (gestrandet in Görlitz)

Irrwege.

Mein Eindruck: In unserer Gesellschaft läuft etwas grundsätzlich falsch, vergleichbar, einem Zug, der ungebremst an Geschwindigkeit zulegt und früher oder später zu entgleisen droht. Wann wurde der entscheidende Schalter umgelegt, so wie bei jener südkoreanischen Passagiermaschine, die einem falschen Funkfeuer folgte, eine anfangs kaum merkliche Kursabweichung, unbemerkt von den Piloten - zumal bei Nacht - aber ein Kurs, der über russisches Sperrgebiet führte, wo die Maschine schließlich abgeschossen wurde. Ein tödlicher Irrtum.

Amerikanische Aufklärer hatten die fatale Kursabweichung übrigens registriert und beobachteten das Geschehen, ohne die Piloten zu warnen.

An Warnern fehlte es leider auch angesichts unserer Eingriffe in die Natur: Pflanzen und Tiere wurden leichtfertig in fremde Lebensräume versetzt, wo sie mangels natürlicher Feinde sich zu einer Plage für einheimische Arten entwickeln. Und ausgerechnet deutsche Forscher haben beim Experimentieren mit Bienenvölkern die asiatische Varoamilbe zu den deutschen Bienen gebracht. Ohne regelmäßige Behandlung mit Ameisensäure (wobei die junge Brut jedesmal stirbt) würden unsere europäischen Bienen aussterben. Mit unabsehbaren Folgen...

Aber, aber, machen wir uns keine Sorge, für den Fall, dass dies geschieht. Nachdem in China zwar die Bienen ausgerottet wurden, können dank preiswerter chinesischer Bestäuberinnen die Obsternten dort weiter eingebracht werden, und ich bin sicher, China wird Europa nach dem Bienentod gern mit fleißigen Bestäuberinnen aushelfen, genauso wie es derzeit Atemmasken für die europäischen Coronaopfer liefert.

Also keine Panik

Wieweit muss ich zurück gehen, um zum Ursprung des Übels zu gelangen? Etwa bis zu jener tüchtigen amerikanischen Farmersfrau, die vom Industriellen Ford das Prinzip der Fließbandproduktion abschaute und es auf ihre Rinder übertrug. Oder vielleicht zum Meister selbst: Ford mit seiner Tin Lizzy, dem ersten Fließbandauto der Welt, das tüchtige Unternehmer weltweit zur Nachahmung anregte. Seitdem geben unzählige Fließbänder den Arbeitstakt vor: im Akkord wird produziert, die Bandgeschwindigkeit weniger dem menschlichen Bedürfnis angepasst als den Erfordernissen des Produkts und natürlich des Marktes.

Warum die Produktion von Hühnern, Eiern und Rindern nicht ebenso organisieren wie die Produktion von Autos? Beide gedacht für die Verwertung am Markt, der Verkauf geregelt durch Angebot und Nachfrage. Überproduktion und Ausschuss werden entsorgt.

Als Wegbereiter für das Endziel der Massentierhaltung und als letzte Station vor dem Markt gilt der Chicagoer Schlachthof: vom mehr oder weniger panisch drängenden Leben auf der einen Seite, über die Stufen der Verarbeitung bis zum appetitlich verpackten Steak auf der anderen. Industriell perfekt organisiert. Genussfertig. Sauber. Und keine oder kaum eine Erinnerung daran, dass das mal lebte.

Das alles begann vor rund hundert Jahren und geschieht weiter, wenn wir ohne ethische Bremse die Dinge zu Ende denken. Vom Gedanken zur Idee, von der Idee zur Aktion - und schon ist sie da: die Singularität des neuen Universums. Wächst, dehnt sich aus, immer weiter und schneller, sein Tempo getrieben von den Gesetzen des Kapitalismus, der Gewinnmaximierung, des Profits; Rendite, Aktien, Hedgefonds, steigende Kurse an den Börsen - und produziert, gemästet und verarbeitet wird das unterworfene Leben. Die Natur selbst auf dem Streckbett des Fortschritts.

Auf der Suche nach geschichtlichen Vergleichen finde ich einen Begriff : Holocaust;

dieser gekennzeichnet durch:

Missachtung des individuellen leidensfähigen Lebens, lebenslange Abwertung, Misshandlung und Beraubung der natürlichen Rechte; schließlich Transport, Selektion, Vivisektion, Tötung und restlose Verwertung nach industriellen Grundsätzen. Wirtschaftlichkeit und Gewinnmaximierung des Verfahrens garantiert.

Das Imperium schlägt zurück

Anlass: einige Artikel aus ZEIT und SPIEGEL

Bernd Ulrich nennt die Pandemi ein Verhängnis, vergleichbar einem Vulkanausbruch, einem Tsunami oder Erdbeben, wo die Frage nach den Ursachen oder gar der Schuld unerheblich ist: eher Stoff für die Theodizee als für menschliche Verantwortung. Der Anteil chinesischer Fledermausesser - es handelt sich wohl um graue Flughunde - damit ebenso verantwortlich für das Virus wie der Flügelschlag eines Schmetterlings für einen Orkan, d.h. ebenso wenig.

Der Grundsatz Vorwärts immer - rückwärts nimmer mag gerechtfertigt sein, solange der weltweite Kampf gegen das Virus andauert.

Ob Sieg oder Niederlage - beides im Bereich des Möglichen - danach werden wir uns einigen Fragen stellen müssen. Vor allem der Frage nach dem Grund der Katastrophe, der auch Bernd Ulrich nicht ausweicht. Leider widmet er ihr nur wenige Zeilen, sieht eine Ursache pauschal "in unserem falschen Umgang mit Tieren" und "der immer brutaleren Penetration der Natur", versagt sich aber den Schlussfolgerungen.

An seiner Stelle möchte ich das Problem auf den Punkt bringen: Bei dem irgendwann im November/Dezember 2019 auf einem chinesischen Markt gekauften, dann getöteten und ahnungslos verspeisten Flughund dürfte es sich um das teuerste Mahl der Menschheitsgeschichte handeln, sollten irgendwann die Folgekosten addiert werden. Hier von persönlicher Schuld zu sprechen, hilft nicht weiter. Eine Tragödie ist allemal, was sich zur Pandemie entwickelt hat, und wie in der griechischen Tragödie sind wir aus Hybris schuldlos schuldig geworden.

Mich erstaunt, dass unser gewinnorientiertes Zeitalter den Zusammenhang nicht erkennen kann oder will; denn nach Seuchen ähnlichen Ursprungs wie Aids, Ebola und Sars hätten wir gewarnt sein müssen, und dass die afrikanische Schweinepest Menschen nicht gefährdet, ist unverdientes Glück (in Polen wurden kürzlich 24 000 Schweinen gekeult, was die deutschen Bauern der Grenzregionen verständlicherweise ängstigt).

Haben wir die Aids- Katastrophe schon wieder vergessen? Haben wir vergessen, dass sie weiterhin große Teile des afrikanischen Kontinents heimsucht? Dass Russland, wo erst 1987 der erste Fall dokumentiert wurde, sich zu einer HIV Hochburg entwickelt hat?? Wo sich Aids weiter rasant ausbreitet mit geschätzten 1,4 Mio Infizierten...

Die Erreger von Aids und Ebola hatten ihren Ursprung in afrikanischem "bushmeat", dem Fleisch unserer hominiden Verwandten. Sie überwanden zum Teil vor Jahrzehnten die Artenschranke und sprangen auf den Menschen über. Beide wurden und werden aufwändig bekämpft, wenn auch nicht besiegt. Vergessen bis zur nächsten Attacke.

Auch Sars - ein Coronavirus aus der chinesischen Geflügelhaltung - hatte "das Zeug" zur weltweiten Pandemie, Zufall oder Glück, dass es nicht soweit kam. Indes, wenn ich glaubte, damit die wichtigsten Verursacher genannt zu haben, muss ich mich vom SPIEGEL eines Schlechteren belehrt sehen.

Der SPIEGEL (Heft 15 S.106) listet die bekanntesten Zoonosen der letzten Jahrzehnte auf und nennt es ein Kaleidoskop des Grauens: 1962 -64 Machupo-Virus Bolivien; 1967 Marburg -Virus Deutschland; 1976 Ebola -Virus Zaire und Sudan; 1981 HIV/Aids-Virus USA (wirklich?? ich tippe auf Afrika, s.o.); 1993 Hanta-Virus USA; 1997 Vogelgrippe Hongkong; 2012 Mers Saudi-Arabien; jetzt Sars -CoV-2 China. Das Blatt zitiert unsere Umweltministerin Svenja Schulze: "Die Naturzerstörung ist die Krise hinter der Coronakrise", weiter die Expertin für Biodiversität Kate Jones: " Wir bewegen Wildtiere rund um die Welt wie nie zuvor und erzeugen dadurch neue Virencocktails".

Virencocktails, die Krankheiten besonders effektiv übertragen können. Während wir noch glaubten, frei über sie zu verfügen, hat die Mutter der Evolution uns längst zu Versuchsobjekten degradiert.

Wir unterschätzen die Gefahr.

Weil die meisten dieser Seuchen dank glücklicher Umstände bald wieder "vom Markt" verschwanden, bzw. wie Aids einigermaßen beherrschbar schienen, verloren Pharmafirmen das Interesse, weiter an einem Impfstoff zu forschen.

Ich fürchte, unsere liebenswerte Umweltministerin wird auf ihren warnenden Worten sitzen bleiben. Landwirtschaft und internationale Lebensmittelkonzerne werden nach kurzer Denkpause unbeirrt weiter machen auf dem Weg der Naturausbeutung, den sie als den profitabelsten und mit geringstem persönlichen Risiko behafteten erkannt haben: Massentierhaltung mit Antibiotikaresistenz, von Chemie abhängige Landwirtschaft, Zerstörung der Urwälder für Soja- und Fleischproduktion, Leerfischen der Ozeane. Müllberge. Ein weiter so, das die Folgen für unseren Planeten aus den Augen verliert oder zu gering achtet - bis uns die Natur selbst die Rechnung präsentiert. Wir haben ihre Warnungen übersehen oder missachtet.

Elisabeth von Thadden spricht in der ZEIT von der Traurigkeit über das, was uns verloren geht, "ein zu spät" verbunden mit dem Gefühl der Resignation. Wir Menschen, die wir verantwortlich sein sollten für die Gestaltung der Zukunft, seien politisch gescheitert und könnten nur noch zusehen.

Ich bin versucht, selbst unsere Trauer als Teil unseres anthropozentrischen Weltbildes zu sehen, das uns die Natur nur von außen, besser von oben herab betrachten lässt, zuversichtlich, dass unser technisches Geschick, Verursacher des Übels uns auch einen Weg hinaus weisen werde.

Wir sind aber Teil der Natur, und unsere Trauer ist nur ein Bruchteil vom Leiden des Planeten.

Wälder und fruchtbare Äcker schrumpfen, Meere veröden und mit ihnen die Lebensgrundlagen für Mensch und Tier. Aus den Medien kennen wir das Bild vom verhungerten Eisbären aufgrund des Klimawandels, von verbrannten Koalabären durch die verheerenden australischen Buschfeuer, lesen die Statistiken, denen zufolge die Insekten in den letzten Jahren um 80% abgenommen haben. Entsprechend schrumpft die Zahl der Singvögel. Einzelne Beispiele hinter denen sich tausend- ja, millionenfache Tragödien verbergen. Man sage nicht, aussterbende Arten habe es im Laufe der Erdgeschichte immer wieder gegeben. Also so what?

Dieses Artensterben ist von Menschen gemachte Ausrottung aus Unkenntnis, Gleichgültigkeit und Profitstreben. Die Kostenrechnung wird uns präsentiert; denn jede Schuld rächt sich auf Erden, wenn nicht am schuldigen Einzelnen, so doch an der Spezies. Schon jetzt.

Zwei Bilder der Trauer haben sich meiner Erinnerung eingebrannt. Im verkoteten, unerträglich nach Ammoniak stinkenden Schweinestall eines Bauernhofes sah ich vor Jahren eine Sau hocken. Einsam zurück gelassen, nachdem die anderen zur Schlachtung abtransportiert waren. Sie saß unbeweglich in diesem stinkenden Elend, während ihr Kopf unablässig von links nach rechts und zurück schwang. Wieder und wieder. Nur eine Sau.

Sie trauerte...

Auf einer Insel der paradiesischen Seychellen kam ich einem Flughund ganz nah: Er hing in einem winzigen Vogelkäfig, die Flügel eng um den Körper geschlungen, der Kopf berührte den Käfigboden. Warten auf die Schlachtung.

Richard David Precht schreibt in der ZEIT: " Nein, das Virus ist keine Rache der geschundenen Natur am Parasiten Mensch." Meine Antwort: "Doch!"

Ist Versöhnung mit der geschändeten Natur noch möglich? Vielleicht; die Regierenden wissen es und die meisten der Regierten auch. Im Grunde wissen wir es alle.

Wir müssen die egozentrische Unkultur des Zuviel ist nicht genug aufgeben. Besser heute als morgen das Tempo der Warenströme verlangsamen, unsere Essgewohnheiten ändern, kurz: das Übermaß unserer Forderungen und Erwartungen.

Ein Blick in den Spiegel zeigt jedem von uns die Antwort:

Du musst dein Leben ändern!

Mittwoch, 08.04.2020

Ein Text, den ich Anfang 2019 für die Schweizer Stiftung 'Kreatives Alter' einreichte (Ergebnis Anfang November 2020), beschreibt als Folge unserer Naturzerstörung eine ähnliche, weltweite Pandemie, wie wir sie derzeit erleben. In meinem Text wehrt sich die Natur gegen den Aggressor Mensch und treibt ihn mit ihren Waffen fast ins Verderben.

Ich kann nicht hellsehen, verfüge über keine übersinnliche Gabe, sowenig wie die Propheten des Alten Testaments. Aber wie diese aus schlichter Menschenkenntnis plus Beobachtung menschlichen Fehlverhaltens und der Welt wie sie ist - wir würden sagen der Naturgesetze - zu ihren Warnungen gelangten, allen voran das gebieterische Kehrt um! so sehe ich unsere planetare Gesellschaft auf einem Irrweg, und wenn uns die Rechnung präsentiert wird, so ist das nur logisch. Jene Naturgesetze von der Evolution der Arten, die wir uns seit Darwin erzählen, aber nicht respektieren, liefern uns winzigen Viren und Mikroben aus, an denen das Riesenprojekt Globalisierung womöglich scheitern wird. Scheitern an unserer machtbesessenen Hybris, blind wie Ödipus, obwohl die Wahrheit vor unseren Augen liegt.

In einer überfrachteten Anzeige, die u.a. für das allgemeine Grundeinkommen wirbt (ZEIT 16) lese ich: Das Schicksal missbilligt unsere Lebensweise. Wenn nach indischer Auffassung unser Karma das selbst gewählte Schicksal ist oder frei nach Hegel die Weltgeschichte das Weltgericht, gibt es für uns nichts zu lachen. Gegenüber dem großzügigen und langmütigen Kreditgeber Natur haben wir längst jede Kreditwürdigkeit verspielt.

Zwar wird viel von Mitgefühl geredet, mit den Helfern, den Einsamen und Alten, den vernachlässigten Kindern auch im wohlhabenden Europa,

doch unser Umgang mit der Pandemie entlarvt die Egozentrik unserer Art: Trotz aller Solidaritätsbekundungen kümmern sich die verschiedenen Gemeinschaften vor allem um die eigenen Belange. Die Grenzen sind geschlossen, auch die auf der Altstadtbrücke zwischen meiner Stadt Görlitz und dem polnischen Zgorzelec, bis vor kurzem die coolste Grenze Europas. Es herrscht ein rücksichtsloses Wettbieten weltweit um Atemmasken, Schutzkleidung und alles, was vor Ansteckung retten kann. Dabei geht es den meisten Europäern noch einigermaßen, verglichen mit dem Elend indischer Wanderarbeiter, der Flüchtlinge auf Lesbos oder den Bewohnern der von Kriegen heimgesuchten Gebiete wie Syrien oder dem Jemen, für die Corona eine kaum vorstellbare Katastrophe bedeuten würde. Aber was uns nicht direkt betrifft, nehmen wir hin. Leben war nie gleichwertig, war stets dem unnachsichtigen Ausleseprozess der Natur unterworfen: survival of the fittest. Pech für die im indischen Slum Geborenen...

Vielleicht liegt hier der Grund, warum über all dem abstumpfenden menschlichen Elend das millionenfache tierische Leid vergessen wird, selbst wenn es unmittelbar mit der Pandemie zusammen hängt. Gitarrist Ali Dietz der Band Heaven shall burn: " Dabei weiß doch jeder, was mit Flüchtlingen real passiert oder mit der Umwelt, oder in den Schlachthöfen." Bis auf einige Tierschutzvereine interessierte nicht, dass im Zuge der Grenzschließungen auch Tiertransporte nicht abgefertigt wurden, unversorgt über Tage warten mussten. Es handelte sich ja nur um Schlachtvieh. "Tiervergessenheit."

Wer wissen will, wie wir in Zeiten der Massentierhaltung mit Schlachtvieh verfahren, kann sich seit Jahren informieren bis in die grausamsten Einzelheiten, und da wir es wissen, wollen wir nicht mehr daran erinnert werden. Das Fernsehen berichtet von den unhaltbaren Zuständen beim Transport lebender Tiere. Häufige Reaktion: Was ich nicht ändern kann, will ich nicht sehen oder hören.

Leider lehrt die geschichtliche Erfahrung, auch böse Systeme können lange Zeit reibungslos funktionieren und den Lebensunterhalt ihrer Nutznießer sichern ( Ohne Krieg würde der Nationalsozialismus vielleicht noch heute bestehen.). Warum also das wirtschaftlich erfolgreiche System der Verwertung tierischen Lebens ändern?

Deshalb wohl bewirken selbst grausamste Bilder der Medien achselzuckende Gewöhnung. In Zeiten des Corona-Virus scheinen Viele zu meinen, es gebe Wichtigeres als Natur und Tierwohl. Das Gegenteil ist der Fall. Da unser bedenkenloser Umgang mit der Natur zur Pandemie geführt hat, müssen Nachhaltigkeit und Tierwohl ganz oben auf der Liste stehen.

Zu wenige denken über Änderungen nach - und wenn doch, wissen sie nicht, wo anfangen: bei der Laborhölle der vermeidbaren Tierversuche (laut Du und das Tier 1/2020) kamen 2018 allein in Deutschland mehr als 2,8 Mio Tiere ums Leben), bei den internationalen Tiertransporten, bei den Schlachthöfen? Sie fühlen sich hilflos fremden Entscheidungen ausgeliefert.

Ich will und kann mich nicht abfinden.

Eine Episode aus dem Schuldienst hilft mir; Zeit: Mitte der achtziger Jahre.

Ich hatte von einer befremdlichen Esssitte im modernen China gelesen: Zahlungskräftigen Kunden boten Restaurants ein besonderes Geschmackserlebnis: lebend frisches Affenhirn, direkt aus der Hirnschale des am Tisch fixierten Tieres genossen. Die Schüler meiner 10. Klasse, denen ich nach einigem Überlegen den Artikel vorlegte, waren zutiefst empört und fragten: Was kann man dagegen machen? Mein Vorschlag, einen Brief an den chinesischen Botschafter zu schreiben, fand anfangs keine Gegenliebe: Den schmeißt er sofort weg, der landet im Papierkorb; wir können sowieso nichts ändern u.ä

Die sich anschließende Diskussion führte zu folgendem Ergebnis: Jede Schülerin, jeder Schüler kann ein gemeinsam erarbeitetes Schreiben an den chinesischen Botschafter senden (bekanntlich arbeitet amnesty international mit solchen Protestbriefen). In dem Schreiben erinnerten wir den Botschafter auch an die ehrwürdige chinesische Tradition und ihre Philosophen, die solche Grausamkeiten nicht gutheißen würden.

Es blieb den Schülern frei gestellt, diesen Brief zu schicken oder auch nicht. Einen Erfolg konnte ich ihnen nicht versprechen; nur, je mehr Schreiben der Botschafter erhielte, desto eher würde er sich Gedanken machen, vielleicht etwas unternehmen, und sei es nur aus Sorge um den guten Ruf seines Landes. Nicht alle, aber mehrere Schüler haben den Brief geschrieben.

Ob unsere Schreiben den Botschafter erreichten, weiß ich nicht, aber den Brief abzuschicken war mir wichtig. Genauso wichtig, ein Verhalten einzuüben, das wir vielleicht später im Leben brauchen könnten.

Zum Beispiel jetzt.

Dass die Natur sich nicht ungestraft missbrauchen lässt, hätte uns schon vor den Zeiten von Corona klar sein müssen. Beispiele von Naturzerstörung und tierquälerischer Massenhaltung gab und gibt es seit langem, genau wie das weiter so der Interessenverbände und ihrer Lobby; jüngstes Beispiel der empörte Aufschrei aus der deutschen Landwirtschaft, seit ihr auf Druck Brüssels eine neue Düngeordnung droht. Wir werden sehen, wer sich durchsetzt. Wäre die Metapher von den verwässerten Gesetzen übertragbar - so dass den realen Äckern dadurch Wasser entzogen würde, Deutschland wäre längst zur Wüste verkommen. Zum Glück nur Worte, wie die Versprechungen und Gelöbnisse, anlässlich jeder Krise. Ich glaube ihnen nicht mehr.

April 2020 Ostersonntag

Viele kluge Zeitgenossen, Politiker, Wissenschaftler, Journalisten sorgen sich wegen der steigenden Zahl der Infektionen, addieren die wirtschaftlichen Schäden bis zu unfassbaren Billionenbeträgen. Wenige sprechen von der geschändeten Natur und unserer Verantwortung. Es sollte nicht bei einigen Leserbriefen bleiben.

NEIN.

Die Forderung Du musst dein Leben ändern ! Das Kehrt um der Propheten gilt für jeden von uns.


Darum:

Schluss mit der für Einige bequemen Globalisierung um jeden Preis, ein Preis, den Andere zahlen müssen.

Schluss mit der miesen Bezahlung von systemrelevanten Dienstleistern, allen voran den Pflegekräften.

Schluss mit der undifferenzierten Benachteiligung vieler Berufsgruppen, vor allem in der Kultur. Merke: der Mensch lebt nicht vom Brot allein.

Schluss mit den Verstößen gegen nachhaltiges Wirtschaften.

Schluss mit dem Zubetonieren unseres Lebensraums und des Lebensraums von Pflanzen und Tieren für Straßen, Großmärkte und weitere Industrieanlagen.

Schluss mit den euphemistischen Etikettierungen, die uns Ökosprit aus Raps oder Soja als "Lebensmittel" verkaufen wollen, so in einer Werbung des bayrischen Bauernverbandes geschehen.

Schluss mit der Betroffenheitskultur, die sich in Sonntagsreden erschöpft.

Schluss mit der egozentrischen Weltsicht unserer Ethnie, die ihre Würde für kurzsichtigen Profit verschachert, ohne Rücksicht auf Würde und Lebensrecht anderer Geschöpfe, der Tiere und auch der Pflanzen. Die Würde des Menschen ist sehr wohl antastbar. Durch den Menschen.

Schluss mit dem religiösen Vorbehalt, der unter dem Deckmantel der Religionsfreiheit millionenfaches Tierleid verursacht.


Darum:


Keine Stimme für Duldung grenzüberschreitender Lebendtiertransporte


Keine Stimme für Duldung des Handels mit exotischen Tieren


Keine Stimme für Duldung von Massentierhaltung


Keine Stimme für Duldung von Schlachtungen im Akkord




Friedrich Schiller hatte Recht: Das Leben ist der Güter höchstes nicht.

Für manche Bullenkälber wäre es besser, am Tag der Geburt getötet zu werden, manches frisch geschlüpfte männliche Küken wäre sofort danach besser vergast und geschreddert; denn was viele in der Massentierhaltung erwartet, auf engstem Raum gemästet oder bei wochenlangem Transport übers Meer, auf verstopften Straßen, in sengender Hitze, vor verschlossenen Grenzen, ohne Durst und Hunger stillen zu können, wie es einem fühlenden Lebewesen zusteht, das Ende so qualvoll und schlimmer, als - das muss ausdrücklich gesagt sein - die Religionen es ursprünglich gewollt haben. Vom Propheten Mohammed sind anrührende Beispiele seiner Tierliebe überliefert. Als Kind seiner Zeit, ohne das Wissen und die Vorstellung des aktuellen Elends konnte er sich vielleicht keine andere Schlachtordnung vorstellen und nicht, was sich stündlich, täglich, millionenfach auf unserem Planeten ereignet. Wir Europäer sind davon nicht ausgenommen. Sobald die lebende Fracht eine Landesgrenze bzw. Europa hinter sich gelassen hat, bleibt auch die Verantwortung zurück: Leben und Leiden im rechtsfreien Raum. Bis zum bitteren Ende. Ich bin mir sicher: Mit dem Wissen unserer Zeit hätte der Prophet diese barbarische Behandlung und Tötung der Schlachttiere verboten.

Da ich das alles gesehen und gehört habe, kann ich mich nicht mehr auf Nichtwissen berufen. Durch mein Schweigen billige ich, dass diejenigen, die mächtig genug sind, etwas dagegen zu tun, es unterlassen. Aus politischer Rücksichtnahme, Rücksicht auf den Bauernstand, Rücksicht auf Händler, auf diplomatische Gepflogenheiten, usw. usw. Ein Grund findet sich immer.

Nein!

Es gibt keine Entschuldigung.

Die französische Schauspielerin Juliette Binoche hat in einem Interview bekannt, dass sie nicht mehr wählen gehe, und in mehreren internationalen Zeitungen erschien ein offener Brief, in dem sie die Situation unseres Planeten beklagte, wie ich es wohl ähnlich formuliert hätte.

Während wir vorgeben, alle unsere Maßnahmen würden das Leben nähren und schützen, betreiben wir in Wirklichkeit eine Kultur des Todes.

Nicht wählen gehen heißt sich der Fortschrittsmaschinerie versagen, aber auch resignieren, ohne Hoffnung sein. Eine persönliche Entscheidung, die ohne Einfluss bleiben wird auf das System, weil sie sich höchstens in der Statistik niederschlägt. Die Frage nach dem Grund bleibt unbeantwortet.

Darum, weil es keine Entschuldigung gibt, müssen wir wählen gehen, aber gleichzeitig klarstellen, warum wir keiner Partei derzeit unsere Stimme gegen.

Auf meinem Wahlzettel wird künftig statt der Kreuzchen stehen:

Keine Stimme für grenzüberschreitende Lebendtiertransporte

Damit gemeint sind auch die exotischen Wildfänge für unsere Wohnzimmer und Terrarien, die zum Artensterben beitragen. Von unseren Regierungen geduldet aus Feigheit vor dem Wähler.

Wir sind damit nicht einverstanden?

Dann zeigen wir den Regierenden unsere Missbilligung über unsere Stimmzettel; denn:

Nichts fürchten die Regierenden mehr, als über den Stimmzettel abgestraft zu werden: Den Machtverlust.

Wer will, kann und sollte sich deshalb an der Aktion beteiligen - ab jetzt bei allen Wahlen -

solange, bis diese barbarische Behandlung von Tieren international abgeschafft wird.

Illusorisch?

Vielleicht. Aber wenn sich viele Bürger beteiligen, nicht nachgeben von Wahl zu Wahl - dann haben wir eine Chance. Wir können Änderungen erzwingen. Mehr: eine Umkehr.

17. 04.2020

Prognose für die Zeit nach Corona:

Übergang zur Tagesordnung.

Den Mittagsnachrichten zufolge sind nach Ende der Corona - Krise "Abstriche bei Arten- und Klimaschutz" geplant.

Sie lernen es einfach nicht - es sei denn, wir Wähler lehren es sie.

Nachtrag: Nach der Wahl ist vor der Wahl.

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