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IX Reisen

IX. 1 Vietnam 2014 in fünf Kapiteln


1. vegetarisch reisen

2. Immobilien oder: jedem Vietnamesen sein Schlösschen

3. Fleiß Freundlichkeit Farben

4. Masken Mobilität Motorräder: neue Erkenntnisse zur Chaostheorie

5. Amerika und Vietnam


Unsere Reise von Berge und Meer begann im Norden, das lange unter chinesischem Einfluss stand, teils besetzt, teils ein ernst zu nehmender Konkurrent. Vergessen wir nicht, dass nicht Chinesen, sondern Vietnamesen Kambodscha vom mörderischen Regime der Roten Khmer befreiten. Vom Kampf gegen die Amerikaner sprechen wir später. Wie die Chinesen verspeisen die meisten Vietnamesen auch alles, was auf zwei oder noch mehr Beinen läuft, was kriecht, schwimmt oder sich auf Flügeln in die Luft schwingt: Vogel, Rind und Schwein, Hund und Katze, Frosch und Schlange, Fische, Krebse aller Art und das eine oder andere unbekannte Tier. Aufgegessen, bevor Biologen es entdeckten, Wissenschaftler klassifizieren konnten. Wie in China ist auch hier die Liebe zur Tierwelt vorwiegend verinnerlicht, der übliche Weg vom Genuss zur Verdauung. Vögel, die nicht zum Verzehr gefangen wurden, dürfen ihre Besitzer fortan mit ihrem Gesang erfreuen, gefangen in winzigen Käfigen; senkrecht stehende Holzstäbe hindern sie am Klettern: Absicht oder nur ein dummer Brauch? Was bleibt den Piepmätzen unter diesen Verhältnissen anderes übrig als zu singen? In den Wäldern fehlte dagegen ihr Gesang. Warum wohl?

Als 80% Vegetarierin (Ausnahmen vor allem bei Fisch) und aus pädagogischem Ehrgeiz bestelle ich vor Fernflügen immer AVM (asian vegetarian meal) und bin rundum zufrieden, wenn die Bestellung klappt. Leider klappt sie nicht immer. Wie ich vermute, weil es schlicht vergessen wurde, und die Flugbegleiter versuchen mir einen Ersatz anzudrehen. Auf meine (pädagogisch begründeten) Beschwerden in den siebziger und achtziger Jahren, als der Fluggast noch König war, erhielt ich

Gutscheine, ein Upgrading oder eine Flasche Sekt, aber diese goldenen Zeiten sind längst vorbei. Meist wird behauptet, das Bordmenü sei umsonst, ein Gefallen, den man dem Fluggast aus reiner Menschenliebe erweise, weshalb Sonderwünsche und Beschwerden sinnlos seien. Trotzdem mache ich weiter, pädagogisch hoch motiviert, damit der ethische Gewinn vegetarischer Ernährung sich auch in den Hirnen der letzten Fluggesellschafter einnistet. Sie sind ja zur Höflichkeit, mehr zu herzerwärmender Freundlichkeit verpflichtet, selbst wenn ihnen die Sonderwünsche der Fluggäste auf den Wecker gehn (leider, leider kein vegetarisches Menü, we're so sorry). Nicht so die vietnamesischen Stewardessen. Alle bildhübsch anzusehen im traditionellen Hosenanzug, aber geprägt durch die sozialistische Gesellschaft; denn -vergessen wir es nicht- die kommunistischen Nordvietnamesen mit dem Vietcong haben im Vietnamkrieg gesiegt, das Volk zur Bescheidenheit erzogen, und das vereinigte Land wird von einer sozialistischen Einheitspartei regiert, allen Luxushotels zum Trotz. Die sozialistische Prägung (es wird gegessen was auf den Tisch kommt) hatte für mich Folgen. Zur vietnamesischen Entsprechung der DDR-Formel "ham wa nich" vereisten die Gesichtszüge zusehends, nachdem ich mit dem Fleischmenü nicht zufrieden war. Schließlich ließ der Chefsteward mir eine gemischte Käseplatte bringen, welche sie wortlos und so heftig auf das Speisedeck vor mir knallte, dass einige Käsestücke mir fast entgegen hüpften. Sie war ehrlich erzürnt und ich erheitert, weil sie mich ohne Falsch ihre Gedanken lesen ließ. Mehr: Sie nötigte mir Respekt ab. Warum? Die Vietnamesen sind ein tapferes, leidensfähiges Volk, und bei den routiniert Freundlichen sehe ich hinter höflichen Lächeln die mir zugedachte Menagerie.

Wenn in einfachen Gasthöfen die vegetarischen Portionen eher mickrig gerieten, dann vor allem, weil übersehen wurde, dass Fleischesser auch Gemüse essen, das den Vegetariern dann fehlt. Viele Vietnamesen sind den modernen Tourismus mit seinen Sonderwünschen noch nicht gewohnt.


Obwohl 2/3 der Bevölkerung sich zum Buddhismus bekennen, jener Philosophie, die

jedes Töten von Lebewesen verurteilt; obwohl der Buddhismus Gier, Hass und Unwissenheit zur Quelle des Leids, also allen Übels erklärt, scheinen die Wenigsten konsequent vegetarisch zu leben und haben zwei große Kriege siegreich gefochten: ein Volk von Kriegern, das sich gegen französische und amerikanische Eroberer behaupten musste. Selbst der historische Buddha war nicht konsequent und erlaubte seinen Mönchen Fleisch, wenn es ihnen angeboten wurde. Mit achtzig starb er nach dem Genuss von verdorbenem Fleisch. Nun ja...

Eher nachlässig praktizieren die Vietnamesen mehrere Hochreligionen, passen sie ihrer Lebensweise an, nachdem sie die spezifischen Ecken und Kanten abgeschliffen haben, z.B. im Buddhismus das Tötungsverbot, im Islam das Fastengebot:

von einem Monat auf 3 Tage geschrumpft, so wie die Gebetspflicht von täglich

5x auf 1x. Eine praktische Vereinfachung, gegen die Islamisten chancenlos bleiben dürften (doch wer weiß...).

Zum Problem wird die Abkehr vom Tötungsverbot. Mehr oder weniger hilflos muss die Welt inzwischen zusehen, wie Vietnam zur Drehscheibe des internationalen Wildtiermarktes geworden ist, was manche Arten ausrotten wird. Sollte Corona hier zu einem Umdenken führen? (nochmals: wer weiß...)

Unsere Reisegruppe hat sich Froschmahlzeiten verkniffen, einmal wegen der ökologischen Schäden, wenn Insektenfänger der Natur entnommen und durch Ackerchemie ersetzt werden. Zum anderen, weil wir am Markt von Hanoi zusehen mussten, wie große dunkle Frösche geschlachtet wurden. Auch die Todeskandidaten sahen zu.

2. Jedem Vietnamesen sein Schlösschen.

Alle asiatischen Länder zeichnet eine Vorliebe für Wellblechkonstruktionen aus, geschuldet der Armut breiter Bevölkerungsschichten, aber auch, weil es so praktisch ist. Vietnam macht da keine Ausnahme, am Meer, an den Flussmündungen oder an den viele Kilometer langen Straßen der Händler. Solche Behausungen sind schnell aufgebaut, in den Wassermassen der Regenzeit schnell fort geschwemmt und danach ebenso schnell wieder errichtet.

Eine besondere Immobilie scheint mir vor allem im Norden hinzu gekommen, nachdem die Wiedervereinigung auch baulich neue Perspektiven eröffnete.

Die vietnamesischen Straßendörfer und Städte bieten neben Wellblech Neubauten von besonderem architektonischen Reiz: Ob auf dem Land, an einer Vorortstraße oder im Zentrum: Wer es zu etwas gebracht hat oder bringen will, baut sich seine eigene Residenz: bonbonfarben, zwei - bis dreistöckig mit mindestens zwei hüfthohen Balkonen und geschwungenen Säulen, wie wir sie aus dem europäischen Barock kennen.Sichtschutz und Blickfang gleichermaßen, dabei eng an die Nachbarhäuser, sorry, - Residenzen gelehnt, und so schmal, dass sich in jedem Stockwerk dahinter nur ein schlauchartiger Raum verbergen kann. Die Äcker - lang und schmal - befinden sich samt Familiengrab hinter dem Haus. Das erspart Wege zur Grabpflege und für die nach einigen Monaten aufwändige Exhumierung und Neubestattung. Kein gesellschaftlicher Wandel, selbst der Kommunismus nicht, hat die aus dem Taoismus stammende Ahnenpflege beseitigen können.

3. Ebenso wenig die Puppenspiele, unter denen vor allem die Wasserspiele hervorstechen, eine teils dramatische, teils romantische, aber immer wieder feuchtfröhliche Angelegenheit im Norden des Landes. Man sagt den Vietnamesen nach, sie seien die Preußen Asiens, wohl wegen der Disziplin und Kampfkraft. Aber ich staune über die uns Fremden entgegen gebrachte Freundlichkeit, das Lachen, die überwältigenden Farben, nicht nur der Bonbonschlösschen, nein, auch der Kleidung, das üppige Grün der Reisfelder, die bildschönen, gepflegten Gärten der Hotelanlagen, das farbige, überall wuselnde Leben.

4. Damit wären wir beim Thema Mobilität gelandet und seine Entwicklung vom zwei, dreirädigen Fahrrad über das noch viel genutzte Mofa zum Motorrad: Fahren dicht an dicht in mehreren Reihen, als"Familienkutschen" mit Vater, Mutter und zwei Kindern beladen; dazu ein vielseitiges Lastenfahrzeug als Gemüse-, Obst-, Holz-, Werkzeug-, Hausrat- und Tiertransporter in Kisten und Kästen,Trauben von Geflügel. Kopfüber hängen sie an beiden Seiten herab, die Füße zusammen gebunden. Ich las einmal, Hühner fallen dann in gnädige Trance.

Vor 20 Jahren fuhren die Vietnamesen noch Rad, zumeist billige, zuverlässige Modelle aus China. Dank der wirtschaftlichen Öffnung nach chinesischem Vorbild lohnt sich Fleiß auch hier. Etwa 60 Millionen eines 80 Millionenvolkes sind auf Leichtmotorräder umgestiegen. Dies trotz steigender Benzinpreise (2014 ca 80 cent/Liter) bei einem niedrigen Lohnniveau von 600 bis 1000 € im Jahr.

Vor den Ampeln warten sie im Pulk auf Grün, um sogleich in 4-er, 5-er, 6-er Reihen loszubrausen. In der Altstadt von Saigon überholen sie im gemächlichen Tempo dahin trampelnde Touristenrikschas. Hupen erlaubt, sogar geboten, die Gesichter unkenntlich unter dem Helm. Anonym, überall Masken, Nase- und Mundschutz gegen Smog und bei den Damen gegen die Sonne. 6 Jahre vor Corona fürchten Asiatinnen nur um ihren blassen Teint.

Wehe dem ahnungslosen Europäer, einem Norweger gar, der gewohnt ist, dass Autos 200 m vor dem nächsten Zebrastreifen abbremsen. Er könnte sein blaues Wunder erleben.

Doch nein. Unser einheimischer Reiseleiter beruhigt uns. In den Städten passten alle auf, und wenn die Fußgänger die Straße zügig ohne heftige Bewegungen überqueren, vor allem kein Schritt zurück, dann werden sie die andere Seite sicher erreichen

(so Gott will). 60 Millionen Motorräder in geordnetem Chaos.

Was wird in 20 Jahren sein, wenn 60 Millionen Autos die Vietnams Städte verstopfen?

Wie gefährlich ist diese wilde Jagd? Wie viele Menschenleben kostet sie?

Erstaunlich wenig, wenn wir unserem Reiseleiter glauben dürfen.

Die Toten, etwa 30 bis 40 am Tag, gehen nicht auf das Konto der Städte. Nachtfahrten über Land - unbeleuchtet - seien das eigentliche Problem.


Exkurs: T-shirts können sehr witzig sein: grellfarbiger Aufdruck mit schielendem Elch für Norweger, missgelaunte Kater für Katzenfans, wildes Kabelgewirr für Mitarbeiter der Telekom. Vor allem ein knallbuntes T-shirt mit dem typisch asiatischen Kabelgewirr sollte man für den Freund daheim erstehen.

5. Zum Schluss Vietnam und Amerika

Für die (missgestalteten) Opfer des Entlaubungsmittels Agent Orange werden Spenden gesammelt. Ob auch Amerikaner spenden? Wir begegnen den Opfern unter wegs. Mehrfach. Interessant, dass Agent Orange im Vietnam-Buch Peter Scholl Latours nicht erwähnt wurde. Manche Folgen erkennen erst spätere Generationen...


Im Süden besuchen wir ein zum Freilichtmuseum umgewandeltes Stück des originalen Ho-Tschi-Minh -Pfades, die Gänge mit Schulen und medizinischen Einrichtungen so eng, dass nur die schmalbrüstigen Krieger des Viet Cong sich in ihnen bewegen konnten. Getarnte Zugänge, von außen nicht sichtbar, dazu ein raffiniertes Fallensystem mit Schlingen und zugespitzten Hölzern, dem viele Soldaten zum Opfer fielen. Unser Reiseleiter mit mehrjähriger Deutschlanderfahrung, genauer in der DDR-Produktion, ahmte die Schmerzensschreie und Hilferufe der verletzten Soldaten nach, von denen die wenigsten freiwillig gekommen waren. Vielleicht taten sie ihm Leid. Ich höre, dass inzwischen amerikanische Touristen nach Vietnam kommen, denen angesichts der ihnen begegnenden Offenheit das Geschehene auch Leid tue. Schön wär's, wenn alle so dächten - und das gilt für jeden Krieg.


IX. 2 Namibiareise 2020 - Anmerkungen zur deutschen Kolonialgeschichte

(geplantes?) Schreiben an den Marco Polo -Verlag:

Seit vielen Jahren kaufe ich Ihre informativen (und preisgünstigen) Reiseführer.

Ärgerliche Ausnahme: Ihr Namibiaführer mit der durchgehend tendenziösen Darstellung der Kämpfe zwischen der deutschen Schutztruppe und den Herero im Aufstand zwischen 1904-08, wobei leichtfertig und undifferenziert immer wieder der Begriff Völkermord benutzt wurde (insgesamt mal)

Diese Form der Darstellung ist inakzeptabel.

1. Touristen möchten objektiv informiert werden.

2. Studierende der Geschichte lernen bereits im Grundstudium, dass Tatsachenbehauptungen aus den historischen Quellen zu belegen oder zu unterlassen sind.

3. Ideologische Überzeugungen /Zielsetzungen haben in wissenschaftlichen

Arbeiten nichts zu suchen.

Beispiel: Viele Tatsachenbehauptungen des DDR-Wissenschaftlers Drechsler dienten während des Kalten Krieges

a) offensichtlich dazu, die Afrika-Politik der Bundesregierung zu diskreditieren

b) sie zitieren in tendenziöser Verkürzung und Zusammenstellung aus dem berüchtigten Blue Book der britischen Kriegspropaganda (u.a. Abschlachten von Frauen und Kindern durch deutsche Soldaten), einem Machwerk, das von den Briten selbst stillschweigend zurück gezogen wurde.

4. Leider werden derartige Behauptungen immer wieder ungeprüft übernommen und weiter kolportiert, da sie die Überzeugungen bestimmter Kreise vom bösen deutschen Volkscharakter zu bestätigen scheinen.

Für mich als politisch interessierten Menschen mit Geschichtsstudium liegt der Grund letztlich in den monströsen Verbrechen des III. Reiches, das den Völkermord an den Juden Europas ebenso kaltblütig plante wie durchführte.

Unbegreiflich, Unbeschreiblich. Unverzeihlich. Allein das verdiente Kriegsende verhinderte die komplette Durchführung.

Aber: Wer den Begriff Völkermord leichtfertig auf alle Verbrechen gegen andere Ethnien anwendet, riskiert den Holocaust zu relativieren. Zu den Folgen gehören Bemerkungen sich benachteiligt empfindender Minderheiten, sie seien verfolgt ganz wie die Juden, so von Politikern der Herero zu hören.

Mein Vorwurf gilt auch der deutschen Diplomatie, die leichtfertig oder aus Unkenntnis, in jedem Fall aus Dummheit den Vorwurf des Völkermords akzeptiert und damit in die Grube der Reparationsforderungen fällt. Und -weil sie nicht prompt alle Erwartungen bedient, sich neue Feinde schafft.

Wohlgemerkt, die Verantwortung für die kolonisierten Völker ist unstrittig und verpflichtet über das Ende der Kolonialzeit hinaus. So lese ich mit Genugtuung, dass Namibia sich für die Finanzierung seiner zweiten Meerwasserentsalzungsanlage an die deutsche Botschaft gewandt hat.

Der historische Kniefall Willi Brands war eine einmalige, unvergessliche Geste, die sich nicht wiederholen lässt. Die sich häufenden mea culpas unserer Politiker auf Auslandsreisen und an jedem Gedenktag stellen die Adressaten trotzdem nicht zufrieden - so fürchte ich - und hinterlassen einen schalen Geschmack. Mit weiteren Forderungen ist zu rechnen. Glaubt die deutsche Politik wirklich, sie würde mit billigen Schuldbekenntnissen Ruhe und Dankbarkeit ernten? Mich erinnert das an die Entschuldigungen der Deutschen Bahn, auch wenn sich an den Verspätungen nichts oder zu wenig ändert.

Der Völkermord an den Juden ist nicht der erste, wenn auch der bekannteste und Inbegriff dieses Verbrechens. Hitler hatte registriert, dass die Welt über die planmäßige Vernichtung der Armenier während des I. Weltkriegs zur „Tagesordnung“ geschritten war und rechnete sich gleiche Chancen für die Vernichtung der europäischen Juden im II. Weltkrieg aus. Aus durchsichtigen Gründen, nämlich um vom türkischen Verbrechen am armenischen Volk abzulenken, griff der türkische Präsident Erdogan den Völkermordvorwurf gegen Deutschland auf, verbunden mit neuen, unbelegten Opferzahlen (100 000 ).

Zum Völkermord gehören kaltsinnige Planung und vollständige Vernichtung, s.o., Frauen und Kinder werden nicht geschont.

Aber: Bis zum II. Weltkrieg meint Vernichtung „bloß“ die militärische Niederlage des Gegners, so auch das offizielle Kriegsziel gegenüber den aufständischen Hereros. Der „böse Bube“ im Geschehen war zweifelsohne der preußische General von Trotha (Schande über ihn), in dessen Person sich Unfähigkeit mit Dünkel und Großmäuligkeit mischten, fatale Eigenschaften, die Deutschland später zum Verderben gereichen sollten.

Nur, ein Völkermörder war er nicht.

Nach Überfällen auf Farmerfamilien war – schon aus dem Selbstverständnis der sich überlegen dünkenden Kolonialpolitiker - mit einer Strafexpedition zu rechnen, die allerdings auf eine Vertreibung der Hereros aus ihren Gebieten zielte, zugunsten deutscher Siedler. Also eine ethnische Säuberung und ein Verbrechen, damit vergleichbar den Vernichtungskriegen des amerikanischen Militärs im 19. Jhdt. gegenüber den Indianern - diese allzuoft ohne Schonung von Frauen und Kindern - sowie deren Transport in Viehwaggons und die „Befriedung“ der Überlebenden in Reservaten.

Das Prinzip ethnischer Säuberung mit Bevölkerungsaustausch wurde bekanntlich weiter von verschiedenen Seiten praktiziert…

Dass es der Schutztruppe nicht gelang, die Hereros vernichtend zu schlagen, lag an der Selbstüberschätzung von Trothas, dessen Truppe in den Gefechten am Waterberg 60 Tote zählte, nicht zu vergessen die Opfer von Durst und Typhus, sodass man die Verfolgung der Hereros aufgeben musste. Bereits vor dem Gefecht am Waterberg hatten diese von den Briten die Erlaubnis erbeten, auf deren Gebiet überzuwechseln. Offensichtlich kam das stolze, demokratische Umgangsformen gewohnte Volk mit der autoritären Verwaltung der Deutschen nicht zurecht.

Die Flucht selbst geriet aufgrund einer ungewöhnlichen Trockenheit zu einem tödlichen Unternehme, das viele nicht überlebten. Darin lag nach Zeugnissen ideologisch unverdächtiger Forscher die eigentliche Tragödie der Hereros - ohne Verfolgung durch die selbst auf den Tod erschöpfte Schutztruppe. Entgegen der Prahlerei von Trothas gab es keine Sieger.

Seinen an die Hererohäuptlinge gerichteten Vernichtungsbefehl (keine Schonung von Frauen und Kindern)– hatte von Trotta in einem Befehl an die Truppe relativiert (über die Köpfe schießen, um sie zur Flucht bzw. Aufgabe zu zwingen). Nach gesamteuropäischer Empörung, Deutschland eingeschlossen, musste der General den Vernichtungsbefehl zurück ziehen. Seine militärische Karriere war damit beendet.

Auch wenn sehr viel mehr Herero überlebten, als anfangs vermutet,- das eigentliche Skandalon ist der mit dem Kolonialismus verbundene Rassismus, der sich über Landbesitz, Selbstbestimmungsrecht und Tradition der einheimischen Völker hinweg setzte aus dem europäischen, hier deutschen Dünkel zivilisatorischer Überlegenheit.

Natürlich wird es auch verantwortungsvolle Farmer unter den Kolonialisten gegeben haben, die ihre Arbeiter gerecht und fürsorglich behandelten. Aber wie sagte Harriet Beecher Stowe in Onkel Toms Hütte über die Sklaverei: Nicht die brutalen Herren, es sind die Anständigen, die ein ungerechtes System viel zu lange am Leben halten…

Im heutigen Namibia gibt es noch einige Denkmäler für die Angehörigen der deutschen Schutztruppe, auch Friedhöfe der in den Kämpfen Gefallenen, der Verdursteten, der an Krankheiten und Erschöpfung Gestorbenen. Allesamt sehr junge Männer, zum Militärdienst eingezogen, vielleicht aus Fernweh und mit großen Erwartungen ins afrikanische Abenteuer gezogen. Für mich keine Helden, sondern allesamt Opfer, weshalb ich mir eine Besinnungspause an den Gräbern gestatte. Den Afrikanern geschah großes Unrecht, aber auch die jungen Deutschen tun mir leid.

Einheimische, die ich auf das geschehene Unrecht ansprach, antworteten All is forgotten um mir danach (erfolgreich) ein Andenken zum Kauf anzubieten. In den 14 Tagen meiner Rundreise - natürlich zu wenig - traf ich ausnahmslos freundliche Menschen, ohne Vorbehalte und kann mir gut vorstellen, wieder nach Namibia zu reisen.


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