Alles gelogen (9)
9. Kapitel
Forensische Eskapaden.
Sherlock Holmes oder Nick Knatterton? Kombiniere: Wer auch immer von den beiden: In mir findet er seinen Meister (Artur).
Seit einer Woche sind wir sechs aus Berlin zurück, und die Schule hat ihren Betrieb wieder aufgenommen. Hausaufgaben, Schulaufgaben, Referate, nervige und unterhaltsame Lehrer, also das Übliche. Wenn wir aber geglaubt hatten, dass in der nächsten Zeit Ruhe herrscht im Karton, haben wir uns geirrt.
Da ist sie bereits die nächste Spur - und was für eine!
Habt ihr das gelesen?“ Benni schwenkt unsere Tageszeitung, zeigt auf die Titelseite. „Da! Da! Die Reichskleinodien geklaut. Wetten, die Berliner Diebe warn da am Werk, die von Onkel Baldurs Hotelzimmer.“
Eins möchte ich gleich betonen: Wir warn das nicht.
Wir haben diese Reichskleinodien nicht aus der Wiener Schatzkammer geklaut. Selbst wenn wir dafür nicht vor Ort sein mussten. Selbst wenn es uns mit Onkel Baldurs Transporter leicht gefallen wäre, Krone und Reichsapfel zu klauen. Wie den Dieben, die sich seine Erfindungen geschnappt haben. Die sicher weiter auf Diebestour gehen. Was wird erst passieren, wenn sie das Zerstörungspotential des Mauerspechts entdecken? Mir läuft es kalt über den Rücken.
Über der Sensation des Tages haben wir Peter Pelzigs letzte Botschaft fast vergessen: den Zeitungsbericht über einen Juwelenraub in Berlin-Marzahn. Da steht, Unbekannte hätten bei Nacht mehrere Schmuckstücke aus der Auslage entwendet, außerdem ein Stück der Samtunterlage und des hölzernen Unterbaus herausgeschnitten. Nachdem weder die Schaufensterscheibe noch die Ladentür Beschädigungen aufwiesen, seien die Inhaber verdächtigt worden. Doch hätten erste Vernehmungen deren Unschuld erwiesen.
Weil der Tathergang weiter unklar bleibt, bittet die Polizei um sachdienliche Hinweise. Darunter ein Vermerk Pelzigs. Gibt es einen Zusammenhang mit eurem Hoteldiebstahl? Natürlich, die Aktion zeigt typische Anfängerfehler, weil sie den richtigen Umgang mit Baldurs Erfindung noch lernen müssen. Pelzig ist auf der richtigen Spur, obwohl wir zu ihm nur in Andeutungen gesprochen haben. Muss an seinem Beruf liegen. Als Geheimdienstler hat er gelernt, jeden Brocken aufzuschnappen und zu verwerten. Was wir daraus lernen? Noch gründlicher nach Spuren der verschwundenen Geräte suchen. Irgendwann werden sie sich verraten.
Da fällt mir Baldurs Auftrag ein: Mach es wie die Spezialisten bei der Polizei. Versuche, ein Täterprofil zu erstellen. Dann wissen wir, wo sie als nächstes zuschlagen werden. Jeder große Einbruch liefert uns Material. Ich mache mich an die Arbeit. Lese zuerst, was das Internet darüber schreibt. Nach dem Motto: Was das Internet nicht weiß, weiß Baldur, vor allem, wo es um die Hintergründe einer Information geht. Vielleicht findet sich bei Wikipedia oder einem anderen Portal das Tätermotiv; denn ich bin mir sicher. Auch die Diebe haben vorher im Internet gestöbert. Ich stöbere und staune. Die Reichskleinodien des 1806 untergegangenen Heiligen Römischen Reiches bestehen aus den Aachener und Nürnberger Kleinodien, vor allem Krone, Reichsapfel, Heilige Lanze mit dem Blut Jesu und einem Evangeliar. Sie sind von unschätzbarem Wert und zum Teil über 1000 Jahre alt. Kaiser Sigismund - 1368 bis1437 - hat 1423 verfügt, sie Nürnberg „auf ewig“ zu überlassen. Theo meint dazu: „Ewig ist ein höchst relativer Begriff“; denn in Nürnberg blieben sie nur bis zu den Napoleonischen Kriegen, waren danach die meiste Zeit auf Reisen. Besser auf der Flucht, vor allem vor den Franzosen und den Preußen. Mal mit dem Schiff, sogar als Fischfracht getarnt, mal mit Pferdefuhrwerken, mit der Bahn, mit Lastwagenkonvois und Taxi. Nach dem 2. Weltkrieg in einem Flugzeug der amerikanischen Besatzungsmacht. Nach Wien, wo sie seitdem außer dienstags zu besichtigen sind. Warum Wien? Wahrscheinlich, weil Wien mit den Habsburgern die meisten deutschen Kaiser stellte. Fürwahr, ein Happy-End nach wechselvoller Geschichte, auch wenn einige Nürnberger sie gerne zurück hätten. Immerhin kann man Kopien von Krone und Reichsapfel im Nürnberger Rathaus besichtigen. Kopien! Nur Kopien ohne die sakrale Aura des Originals. Baldur wird sich ärgern, wenn er von dem Diebstahl erfährt. Schlimmer, er wird verzweifelt sein. Sicher sind die Diebe seinem eigenen Rettungswerk zuvor gekommen. Zu spät ist es für die Rettung der Originale in Wien, zu spät für ihre Überführung in die Biberburg. Sie sind verschwunden, fürs erste unauffindbar. Keiner weiß, ob sie je wieder auftauchen werden, weil keiner die Diebe kennt.
Jetzt liegt die ganze Verantwortung auf mir, und ich mache mich an die Arbeit.
Bitte nicht stören. Hier arbeitet ein Genie!
Seit über einer Stunde hängt der Hinweis an meiner Zimmertür, und ich arbeite, dass mir der Kopf brummt, erstelle mehrere Täterprofile und bin mir sicher: Wir werden sie erwischen.
Spannende Aufgabe. Warum klaut jemand die Reichskleinodien?
Baldur meint, als angehender Dichter sollte ich meine Phantasie einsetzen, das könne ich am besten.
Eigentlich sind die Reichskleinodien unverkäuflich. Unbezahlbar. Kein Hehler würde sich daran die Finger verbrennen, höchstens für einen saftigen Finderlohn. In allen Zeitungen, auf allen Bildschirmen prangen nämlich Fotos der kostbaren Stücke. Jeder, selbst der größte Kulturbanause kennt sie inzwischen. Bisher hat sich niemand gemeldet.
„Such nach ungewöhnlichen Vorkommnissen in den letzten Tagen“, hat mir Jenny geraten. Sie ist sicher, die gesuchten Täter mussten üben, bevor sie sich an die ganz großen Kaliber wagten. Vom einfachen Juwelierdiebstahl zu den Reichskleinodien, das scheint ihr ein zu großer Sprung. Ich mache es wie Peter Pelzig, sichte Berliner Zeitungsmeldungen und werde prompt fündig unter Kurioses: In einem Berliner Park wurde eine Gruppe Nackter festgenommen, die einen so verwirrten Eindruck machte, dass die Polizei auf Drogenexzesse tippte und Blutproben veranlasste: ohne Ergebnis. Auf dem Anhänger eines Treckers im Havelland landete aus heiterem Himmel ein Geldsegen; wie sich herausstellte der Tresorinhalt der nahe gelegenen Sparkasse. Kombiniere, da gibt es Verbindungen.
Nach einer weiteren halben Stunde ist mein erstes Täterprofil fertig:
Die Nummerierung übernehme ich von meinem letzten Referat. Womit bewiesen ist, nicht für die Schule, fürs Leben lernen wir:
Täterprofil I.
Täter sind nur interessiert am Materialwert
1 Material
1.1 Krone und Reichsapfel
1.1.2 Gewicht und Preis
1.1.2.1 Gold
1.1.2.2 verschieden Edelsteine wie Rubin, Smaragd, Saphir, Diamant. Preis: abhängig vom Angebot der Hehler
2 Vorgehen nach erfolgreichem Diebstahl
2.1 Die Kluncker rausbrechen
2.2 Gold einschmelzen, wiegen,
2.3 Kluncker nach Farbe sortieren, wiegen
2.4 Großes Besäufnis mit Pizza satt.
2.5 Hehler kontaktieren.
3 Verkauf auf dem Schwarzmarkt.
4 Großes Besäufnis mit jeder Menge Weiber
5 Mallorca: Ballermann
Zusammenfassung:
Diese Täter sind ungebildete Primitivlinge
1. Keine Ahnung von Geschichte und immateriellen Werten. Die heilige Lanze würden sie gleich aussortieren, das Evangeliar auf dem Dachboden verrotten lassen. Kurz: Kulturbanausen
2. IQ nur wenig über dem Verstand eines Salatkopfs, sagen wir drei Salatköpfe. Allein die schreckliche Vorstellung, die unersetzliche Reichskrone einzuschmelzen.
Ich stelle mir die Gangster im Einzelnen vor:
drei Männer, eher untersetzt. Die Haare blond, rot bis brünett. Bürstenhaarschnitt. Pickel, Säufernasen, Gesichtsausdruck dämlich.
Alle drei im Blaumann, damit man sie nicht unterscheiden kann, mit ausgetretenen Turnschuhen und großen Löchern in den Socken. Na ja, das Letztere soll auch einem Leiter der amerikanischen Nationalbank passiert sein. Wie sie an den Beamer gekommen sind? Ich kombiniere weiter: Ede (typischer Gangstername), so nenne ich ihn für mich, Chef der Gang und der Einäugige unter blinden Deppen, also der relativ Hellste. Nach mehreren Fehlschlägen beherrscht er den Transporter so einigermaßen. Bei der letzten Versammlung von Nackten im Stadtpark handelte es sich also nicht um eine Kundgebung von Nudisten, sondern um die Frühstückspause des örtlichen Wandervereins „Im Frühtau zu Berge“, und der Inhalt des Sparkassentresors landete unabsichtlich statt in den Taschen der Täter auf dem Anhänger eines zufällig vorbei fahrenden Treckers. Max, den unauffälligsten der Drei stelle ich mir so unauffällig vor, dass sich keiner an ihn erinnern kann. Keiner kennt ihn, er selbst sich übrigens auch nicht. Wie sie an den Beamer gekommen sind? Zufall und Liebe. Nehmen wir an, Moritz, genannt Keule, der Dickste, und zugegebenermaßen Blödste der drei hat ein Auge auf das Zimmermädchen geworfen, was nicht gut gehen kann; denn welches Zimmermädchen würde sich mit einem derart unterbelichteten Typ einlassen? Außerdem wusste er nicht, dass jemand anders ihr nachsteigt. Der andere: ein typischer Einzeltäter. Vergangenheit im internationalen Spionagegeschäft mit Erfahrung im konspirativen Handeln. Vor allem, was die schwarzen Kästen betrifft, von deren Möglichkeiten sie nichts ahnen. Mit etwas Glück kriegen auch ausgemachte Dummköpfe so einen Bruch in einem Berliner Hotel hin. Aber danach?
Für die Reichskleinodien braucht es schon ein größeres Kaliber. Vor allem, wenn sie weiter machen wollen. Was könnte als Nächstes anstehen? Irgendein Kirchenschatz? Das Zarengold oder die britischen Kronjuwelen?
Ich suche im Internet nach dem Zarengold und stelle fest: gibt es nicht mehr. Nur noch danach benannte Züge der Transsibirischen Eisenbahn. Schade um das ganze Gold, vor dem ersten Weltkrieg satte 1.337,0 t. Und 1918/19 in den Wirren des russischen Bürgerkriegs verschwunden.
Theos Kommentar: Sic transit gloria mundi.
Bleiben die britischen Kronjuwelen.
Ergebnis: Für diesen Bruch braucht man Grips.
Sollen wir das erste Täterprofil wegen Unwahrscheinlichkeit streichen und ein zweites entwerfen?
Täterprofil II
1 Die Täter sind nicht dumm. Sie wissen, diese Art Diebesgut ist unverkäuflich.
2 Für Gegenstände von derart hohem Symbolwert wird eine astronomisch hohe Belohnung ausgelobt
3 Hehler werden eher die Täter verpfeifen (s.o.) und die Belohnung kassieren, als sich auf unsichere Geschäfte am Schwarzmarkt einzulassen.
Zitat: Wir sind doch nicht blöd. Darum:
4 Der Diebstahl ist in Wirklichkeit eine Entführung, und wie bei jeder Entführung stellen die Entführer Forderungen. Was fordern sie?
4.1 Lösegeld, je mehr, desto besser.
4.1.1 für ein Penthaus
4.1.2 für eine Jacht
4.1.3 für jede Menge Luxusweiber
Bei solchen Preziosen müsste schon eine Milliarde drin sein. Oder wenigstens 500 Millionen. Und unterstrichen wird die Forderung mit der
5 Drohung “Kommt das Lösegeld nicht, vernichten wir den ganzen Schrott.“ Das wirkt.
6 Probleme
6.1 bei Übergabe des Lösegeldes
6.1.1 Einschaltung der Polizei
6.1.2 schießwütige Spezialtrupps
6.1.3 diskussionswütige Polizeipsychologen
6.1.3.1 Befürchtung: Zermürbungstaktik der Polizei
6.1.3.2 Befürchtung: Stress
6.1.3.2.1 Grund: Magenprobleme durch einseitige
Ernährung über Pizzadienste
6.1.3.2.2 Grund: Zeit schindende Verhandlungen
dienen dazu, den Aufenthaltsort auszukundschaften. Das Ganze fliegt auf
6.2. bei Einschaltung der Versicherungen
6.2.1 Risiko: Wer wäre von Versicherungen noch
nicht übers Ohr gehauen worden?
6.2.2 Risiko: siehe 6.1.3.1
Wer sich auf so eine unsichere Kiste einlässt, muss Ideale haben. Höchstes Ideal aller Idealisten ist und bleibt die Gerechtigkeit. Gerechtigkeit für die Welt und für sie selbst; denn beide sind in ihren Augen untrennbar miteinander verbunden. Darum:
7 Idealisten
Für Idealisten mit krimineller Energie, die ihre Ideale verwirklichen wollen, bietet sich das Verbrechen an. Motto: Je größer die Ideale, desto größer der Gesetzesbruch (oder umgekehrt). Nur so können sie sich den ihnen zustehenden Anteil am großen Kuchen schnappen, ob Geld, Macht (leicht zu verwechseln mit Liebe) oder religiöse Erfüllung. Am besten alles zusammen.
7.1 Sie fordern Lösegeld
7.1.1 für die Revolution
7.1.2 für das islamische Kalifat o. ä.
7.2 für die Freilassung gefangener Genossen
7.3 für den eigenen Lebensunterhalt (Leben im Untergrund ist teuer, siehe 3. Generation der RAF)
Ich überlege: 7.2 kommt nicht in Frage, Amoklauf aus persönlichem beleidigt sein passt auch nicht. Dem Amokläufer bleiben zum Schluss weder Geld noch Leben. Andererseits: Jeder Mensch rastet mal aus, jeder Mensch hat die eine oder andere Macke. Dazu muss man nicht kriminell und kein Amokläufer sein.
Bei den kriminellen Idealisten ist das anders. Wenn bei normalen Gesetzesbrechern, der Prozentsatz von Psychopathen nur wenig über dem Bevölkerungsdurchschnitt liegt, müssen wir ihn bei kriminellen Idealisten, auch Terroristen genannt, wesentlich höher ansetzen, egal, ob sie 'Es lebe die Weltrevolution' oder 'allah hu akbar' schreien.
Nach gründlicher Überlegung:
Täterprofil I streichen:
Schon die Probleme vor der Geldübergabe zeigen: nichts für Deppen. Klopfen wir Täterprofil II auf seine Chancen ab. Ob geldgeile Materialisten oder Idealisten mit krimineller Energie - angesichts der schwierigen Durchführung eines derart anspruchsvollen Vorhabens - siehe II.6.-, müssen sie bei aller Intelligenz nicht alle Tassen im Schrank haben, mindestens einer ist nicht recht bei Trost oder ga ga, kurz: ein Psychopath.
Aus Filmen lernen wir: Bei Kapitalverbrechen ist meistens ein hochintelligenter Psychopath dabei. Einer vor dem nicht nur kleine Mädchen Angst haben müssen. Schlank, gut aussehend, aber mit dem typisch irren Blick, dazu wahlweise unkontrollierten Gesichtszuckungen, nervösem Fingerkneten, das griffbereite Messer im Ärmel. Kurz: zum Fürchten. Und die andern fürchten ihn wegen seines Jähzorns, wenn nicht alles nach seinen Vorstellungen verläuft. Klar, dass die anderen deshalb ihre Fähigkeiten nicht voll entfalten können, weil sie ständig auf ihn aufpassen müssen. Im Kino geht die Sache deshalb meistens schief.
Auf der Suche nach einer heißen Spur schaue ich nochmal ins Internet - und werde fündig. Drei Portale zu den Reichskleinodien unterscheiden sich vom Mainstream. Ein österreichisches beansprucht die Schätze als historischen Nachweis österreichischer Identität, ein deutsches als Nachweis deutscher, gar großdeutscher Identität. Ein bayrisch fränkisches beruft sich auf 400 Jahre in Nürnberg. An keinem anderen Platz hätten sie es länger ausgehalten. Nun, die Österreicher kann ich aus der Liste der Verdächtigen streichen. Sie haben den Schatz wieder seit 1946. Von Rückforderungen deutscher Regierungen weiß ich nichts. Aber die Franken! Namensgeber des ersten großen europäischen Reiches nach Rom, mit einer Stadt, die alle deutschen Traditionen umschloss, die guten wie die schlechten. Theo: Dazu Heimstatt regionaler Aufsässigkeit gegenüber dem noch aufsässigeren großen Bruder im föderalen Staat.
Frage: Sollten die Diebe womöglich gekränkte Lokalpatrioten sein, überzeugt, dass es sich bei den Inschriften auf Krone und Reichsapfel um reinstes fränkisch handele, was Nichtfranken sowieso nicht verstehen? Weshalb beide selbstverständlich nach Franken, also Nürnberg gehörten.
MMMH, eine verführerische Theorie. Merkzeichen setzen!
Zweite Frage: Warum haben die Diebe nur Krone und Reichsapfel entführt? Zwar beide von höchster sakraler Bedeutung: die Krone sogar Symbol himmlischer Vollkommenheit, also heilig wie das versunkene Reich und voller Zahlensymbolik. So steht es geschrieben. Warum haben sie nicht alles genommen? Die Heilige Lanze, das Reichsevangeliar, das Reichskreuz und noch allerlei heiligen Krimskrams? Nach einer Diskussion mit Theo führen neue Erkenntnisse zu
Täterprofil III
1 Kein Mensch wird als Verbrecher geboren
1.1 auch Terroristen nicht
1.2 auch Amokläufer nicht
1.3 auch die Diebe von Onkel Baldurs Erfindungen nicht.
2 Die Diebe sind blank, also ohne Geld durch
2.1 Arbeitslosigkeit
2.2 Insolvenz oder Bankrott des Arbeitgebers
2.3 Scheidung
2.4 Spielschulden
2.5 Gefängnisaufenthalt
2.6 Krankheit
2.7 brotlose Tätigkeit
Das ist es! Die brotlose Tätigkeit. „Künstler haben es nicht leicht“, Theos Kommentar, wenn er vom Kunstschaffen eines hochbegabten, aber verarmten Klassenkameraden spricht, oder von Tante Marga, die ihre Schriftstellerkarriere zugunsten einer gesicherten Beamtenlaufbahn zurück gestellt hat. Nach ihrer Pensionierung hätte sie Zeit gehabt...
Aber jetzt reist und liest sie lieber als zu schreiben. Ist weniger anstrengend.
Schriftsteller haben es nicht leicht. Dichter schon gar nicht. „Es gibt zu viele Bücher“, hat Thomas Mann gesagt. Das war vor über 70 Jahren. Der würde sich heute wundern. Allein in Deutschland jedes Jahr etwa 100 000 Neuerscheinungen, und die meisten nach wenigen Jahren im Antiquariat – oder verschrottet...
„Und da willst du Dichter werden?“, hat mich Benni, gefragt. „Du wirst verhungern, wenn Onkel Baldur dir nicht hilft.“ So sind die zahlengläubigen Realisten.
Eine bekannte Literaturkritikerin und Katzenfreundin meint, auf jeden Leser kämen mindestens zwei Schriftsteller. Selbst wenn sie übertreibt, schlimm genug. Aber warum muss auch sie noch schreiben? Ich fürchte, weil sie an sich glaubt. Wie wir alle. Wir bauen Gedankenschlösser und zerstören sie wieder. In Gedanken. Oder im Typoskript, wie ich meine Briefe und Gedichte für Basti. Nicht abgeschickt. Nicht daran denken. „Deine Wolkenkuckucksheime“, sagt Jenny, wenn sie mich beim Denken beobachtet. „Tu lieber was!“ Alles in Gedanken. Das ist mein Problem und der springende Punkt. Schriftsteller schaffen den Sprung in die Realität nicht, beschreiben Bankeinbrüche, Mord und Totschlag, aber tun es nicht. Wie ich. Wie Tante Marga, die sich den Sprung nicht zutraut. Vielleicht ganz gut.
Darum kommen wir auf keinen grünen Zweig, wenn wir nicht zufällig einen Bestseller landen. Lauter Theoretiker. Ungeeignet für die befreiende Tat. Kein passendes Täterprofil. Vielleicht sieht es bei Malern und Bildhauern besser aus. Immerhin können die mit realen Materialien umgehen, mit Farbe und Pinsel oder mit Hammer und Meißel ihre Aggressionen ausleben. Oder als Musiker. Instrumente wie Trompete und Schlagzeug traktieren. Die Orgel nicht zu vergessen. Noch besser, am Mischpult einer Heavy Metall Band mit startenden Düsenjägern konkurrieren. Da geht die Post ab!
Nein. Funktioniert nicht. Wer einmal in Wacken war, dem hat die Restwelt nichts mehr zu bieten. Sagt mein Nachbar, selbst Schlagzeuger und E-Gitarrist.
Und die Maler? Ein Maler mit krimineller Energie wird Kunstwerke fälschen, den Markt mit neu entdeckten Rembrandts, van Goghs oder Picassos versorgen. Bis er auffliegt.
Trotzdem, mir schwant, ich bin auf der richtigen Spur. Künstler sollten Ahnung von Geschichte haben, Kunstgeschichte mit den Reichskleinodien gehört dazu.
Deutlich sehe ich sie vor mir: Drei junge Männer zwischen 20 und 25 Jahren. Brüder aus einer Artistenfamilie. Tollkühne Artisten unter der Zirkuskuppel, ratlos. Dazu begnadete Musiker, z.B. am Schlagzeug. Da rockt der Bär. Hätte gerockt, wäre das schöne Schlagzeug nicht beim Pfandleiher gelandet. Geld für Tierfutter. Sie kennen nur den Zirkus, und so ein Zirkus hat es nicht leicht. Kämpft ums Überleben. Auf deutsch: Der Betrieb steht vor der Pleite, und die Zuschauer bleiben weg. Kein Wunder. Wie zünftige Zirkusmusik machen ohne Trompete und Schlagzeug? Wenn die Straßensammlung kein Futtergeld bringt, werden die Tiere beschlagnahmt und landen bei anderen, weniger fürsorglichen Zirkusunternehmern. Oder im Tierheim. Oder beim Metzger.
Ich sehe die drei vor ihrem kärglichen Abendbrot. Brotsuppe und Runkelrüben. Schon den dritten Tag. Die Kalorien vom Munde abgespart, damit die armen Viecher was zu fressen haben. Da kommt man leicht auf dumme Gedanken, und niemand werfe den ersten Stein – hat schon der Herr Jesus gesagt, wenn auch bei anderer Gelegenheit.
Da sitzen sie bei ihrem kärglichen Mahl und grübeln. Zählen das letzte Geld zusammen und stieren in eine trübe Zukunft.
Und dann springt einer der drei auf, wie vom Blitz getroffen, haut mit der Faust auf den Tisch. Wir nennen ihn Merlin, und Merlin ruft: „Das ist es! Wir machen es. Gemeinsam. Wie konnte ich es nur vergessen“, und erzählt von dem Besoffenen, der gestern was von einem Erfinder erzählt hat. Der Erfinder wohnt im Hotel Esplanade, nur zwei U-Bahnstationen weiter und hat zwei Geräte auf dem Zimmer, mit denen man die Welt verändern kann. Weiß er vom Zimmermädchen, flotte Biene, die heimlich gelauscht hat und sich um die Schlüssel kümmern wird. Zwei Helfer braucht er, am besten Artisten, weil die geschickter und mutiger sind als normale Menschen. Weiß er auch, dass der Zirkus vor der Pleite steht? Weiß er, dass die drei in ihrer Not auch vor einem großen Diebstahl nicht zurückschrecken werden. Vor allem, wenn das Diebesgut vergleichbar ist mit der Gans, die goldene Eier legt. Nie wieder Geldsorgen, da sind schon ganz andere schwach geworden. Merlin: „Zuerst habe ich ihn nicht ernst genommen, aber nach und nach, wie er seinen Plan erläutert hat – und ganz so betrunken, wie er mir anfangs schien, war er auch nicht. Wie konnte ich das nur vergessen, wo er heute Abend vorbei kommen wollte.“ Als hätte jemand nur darauf gewartet, klopft es an der Wohnwagentür, zweimal, Pause, wieder zweimal, und herein tritt der angeblich Betrunkene vom Vortag. Gepflegte Erscheinung, Jackett, passendes Hemd und Krawatte, würde in jedem besseren Hotel anstandslos ein Zimmer bekommen. Ach was, ein ganzes Stockwerk. Genauso oder ähnlich sehe ich ihn vor mir. Überlegt und kühl, wie er sich vorstellt. Dazu stocknüchtern. Der Name natürlich falsch, weshalb ich ihn weglasse. Warum er die drei zu einem Einbruch überreden möchte? Sie sind ihm aufgefallen, und er hat sie beobachtet. Die drei sind miteinander verwandt. „Stimmt's? Brüder? Noch besser.“
Er möchte ihnen nämlich sowas wie einen Job auf Lebenszeit anbieten. Wenn sie mitmachen und Geschick beweisen. Geld und Sicherheit gegen kleine Gefälligkeiten von Zeit zu Zeit, und der Zirkus kann weiter geführt werden, vielleicht sogar vergrößert mit internationalen Kräften und toller Tierschau.
Klingt verlockend. Nach einer mächtigen Organisation, und nach Geldwäsche. Weil den dreien das Wasser bis zum Hals steht, und weil ihnen jeder Strohhalm als Rettungsanker erscheint, greifen sie zu, treffen zur verabredeten Zeit den Fremden. Unauffällige Kleidung hat er ihnen eingeschärft, so unauffällig, dass sich niemand später an sie erinnern wird. Zwei sichern die Umgebung während zwei, sagen wir Merlin und der Fremde, sich ins Zimmer schleichen. Eines der Geräte finden sie im Kleiderschrank, das andere hat der Onkel im Hotelsafe eingeschlossen. Für den Fremden kein Hindernis, ich denke mir, weil der Schließmechanismus des Safes vorher manipuliert wurde. Da beide Geräte sich ähnlich sehen wie Geschwister, beide tiefschwarz mit ungewöhnlicher Oberfläche, als würden sie das Licht verschlucken, wird kurzerhand geteilt. Eines erhalten die Brüder. Mit dem anderen verschwindet der Fremde, nicht, ohne vorher die drei zu verwarnen. Sie sollen für ihn herausfinden, wie das Gerät funktioniert, je eher, desto besser. Seine Organisation wird sich dankbar zeigen. Merlin, der Älteste und Geschickteste findet bald heraus, welcher Schatz in ihre Hände gefallen ist, und selbstverständlich möchten sie ihn behalten. Um die ersten Geldsorgen zu stillen, werden sie mit Baldurs genialer Technik einige leicht greifbare Schmuckstücke entwenden. Wo? Aus der Schmuckauslage eines Berliner Juweliers. Garantiert versichert, tröstet einer den anderen, und es dient einem guten Zweck. Das ist edel, und der Zweck hat schon immer die Mittel geheiligt. Oder nicht? Leider kennen sie keinen Hehler und müssen einen neuen Versuch starten:
In einem Berliner Vorort den Banktresor der Sparkasse leeren. Wie wir wissen, landete das meiste auf dem Anhänger eines vorüber fahrenden Landfahrzeugs und nur der kleinste Teil in der harmlos wirkenden Einkaufstasche. Immerhin reicht es, den Zirkus über die nächsten schweren Wochen zu retten. Denn entgegen seiner Ankündigung hat der geheimnisvolle Fremde sich bisher nicht gemeldet. Die drei ergehen sich in wilden Mutmaßungen: Vielleicht ein Agent des russischen Geheimdienstes. Oder des israelischen Mossad. Oder ein arabischer Familienclan steckt dahinter. Vielleicht gar eine kommunistische Seilschaft, übrig geblieben nach dem Untergang der DDR. Rote Socken. Ich sehe sie vor mir, lauter rote Socken, wie sie den ahnungslosen Onkel umschleichen. Wie die Reste der ehemaligen Rote Armeefraktion wollen sie sich neue Geldquellen erschließen, nicht wie diese mit einem traditionellen Bankraub, nicht mit Überfällen auf Geldtransporter oder Supermärkte. Nein, indem sie einige seiner Erfindungen ausspionieren und zu Geld machen. Die letzte Theorie hat was für sich; denn wer weiß am besten über Onkel Baldurs Möglichkeiten Bescheid? Seine ehemaligen Genossen von der Staatssicherheit, die ihm den Verrat an ihren Idealen nicht verzeihen können!
In Berlin haben sie die Falle für ihn vorbereitet, schließlich war Berlin nicht umsonst während des kalten Krieges eine Hochburg der Spionage. Weiß jeder aus dem Kino.
Möglich wäre auch, dass der geheimnisvolle Fremde auf eigene Rechnung und eigenes Risiko handelt. Dass er mit der Organisation hinter ihm den dreien nur Angst machen will, damit sie den unbekannten Mechanismus für ihn entschlüsseln.
Nach den Pressemeldungen zu urteilen werden die Diebe mit jedem Raubzug erfolgreicher, sie haben gelernt, nur unbelebte Gegenstände zu scannen, und es blieb bei dem peinlichen Zwischenfall im Stadtpark mit einem traumatisierten Wanderverein. Das gab vielleicht ein Presseecho, blöde Witze von allen Seiten und ratlose Ermittler. War ja auch für Normalbürger schwer zu verstehen:
Die gesamte Kleidung, Schuhe, Schmuck und persönliche Gegenstände fort und erst nach einigem Suchen zu einem riesigen Haufen aufgetürmt gefunden. Alles unversehrt, und nichts fehlte. Immerhin.
Jetzt, nach dem Diebstahl der Reichskleinodien fragt keiner mehr nach dem Wanderverein "Im Frühtau zu Berge". Jetzt fragen alle: Wer hat Kaiserkrone und Reichsapfel aus der Wiener Schatzkammer geklaut. Polizei und Behörden tappen im Dunkeln.
Ich nicht. Ich bin überzeugt, hier sind intelligente Täter am Werk, keine gewöhnlichen Kriminellen, sondern Menschen, die mit einer ungewöhnlichen Tat Aufsehen erregen wollen, sich ins Guiness Buch der Rekorde einschreiben.
Wie, wenn es ihnen nicht um das Gold oder die Edelsteine aus dem Kronschatz geht, sondern um eine Werbeaktion? Sie wollen Aufmerksamkeit, weil sie sich zu Unrecht missachtet, unbeachtet, verachtet fühlen und ihre Intelligenz bisher nicht auf ehrliche Weise belohnt wurde. Andere laufen in so einem Fall Amok, da finde ich einen Bruch direkt zivilisiert. Oder nicht?
Was werden sie als nächstes stehlen? Womit bei allen Schätzen dieser Welt kann man die Reichskleinodien toppen? Das Zarengold ist futsch, unauffindbar verloren, aber die britischen Kronjuwelen gibt es noch. Natürlich. Wer die deutsche Kaiserkrone erfolgreich stiehlt, interessiert sich auch für den britischen Thronschatz, sicher aufbewahrt im Tower of London. Für unsere Diebe eine echte Herausforderung und eine Frage der Ehre. Dort im Jewel House werden wir sie schnappen. Warum bin ich nicht gleich darauf gekommen?
Vielmehr, warum musste ich es wieder vergessen. So ist das mit den Geistesblitzen: sie flammen kurz auf, und tauchen wieder hinab ins Vergessen oder saufen buchstäblich ab in den Trivialitäten des Alltags. Theo sagt, ein gesunder junger Mensch wie ich sollte sich nicht über seine Vergesslichkeit beklagen; denn mit den Jahren würde es schlimmer. „Schau dir deine Tante Marga an. Sie sprüht vor täglich neuen Ideen, aber mit der Umsetzung hapert es. Sie vergisst sie wieder."
Mein Täterprofil II habe ich nicht vergessen.
Was sagt der Onkel, als ich ihm meine Überlegungen vorstelle? „Gut gemacht, die perfekte Kombination von Fantasie und Köpfchen. Wir werden ihnen eine Falle stellen“, und dann empfiehlt er mir einen Job als Profiler bei der Polizei, falls es mit der Schriftstellerei nicht klappen sollte.
Er hat einen Plan, den er mir nach der Rückkehr verraten will.
Rückkehr woher?
London. Was sonst? Drei Tage war er fort, aber seit heute Nachmittag ist mein Onkel Baldur zurück aus London.
„Hast du...?“ frage ich am Telefon.
„Ich habe! “ gibt er ebenso diskret zurück.
Zwei Stunden später stehe ich an seiner Haustür.
„Was hast du gemacht? Was für eine Falle hast du ihnen gestellt?“.
„Geduld, Geduld. Alles entwickelt sich bestens,wenn du Recht hast. Wir müssen nur noch warten.“ Das ist mein Onkel Baldur. Er zieht mich durch die Diele ins Wohnzimmer, räumt einige Stapel Bücher vom Sofa, damit ich ein freies Plätzchen finde – und beginnt zu erzählen.
Vorher muss ich mir einen Vortrag zur wechselvollen Geschichte der britischen Kronjuwelen anhören. Dabei sollte der Onkel mich besser kennen, ich habe mich längst im Internet schlau gemacht. Zugegeben, die Sache ist immer wieder interessant zu hören. Da sind mehrere Auslandsaufenthalte verzeichnet, und man hat sie sogar, als ein Herrscher knapp bei Kasse war, verpfändet. Verständlich, dass Karl II schließlich den Tower als sichersten Aufbewahrungsort gewählt hat, und dort befinden sie sich seitdem, werden nur jedes Jahr an 10 Tagen im Januar aus ihren Vitrinen geholt und gereinigt. Alles während der Nachtstunden, weil tagsüber ein internationales Publikum die Schätze besichtigt. Und was es zu besichtigen gibt: allen voran die 2,2 kg schwere St.-Edwards-Krone aus massivem Gold mit 444 Edelsteinen und Perlen, dazu sieben weitere Kronen und Diademe, fünf Zepter, drei Ringe, fünf Schwerter, ein Reichsapfel. Im Vergleich zu den zahlreichen Teilen des britischen Kronschatzes nehmen sich die paar Reichskleinodien bescheiden aus. Immerhin galten sie als heilig, ganz wie das vergangene Reich.
Weltberühmt sind einige Diamanten, allen voran der Koh-i-Noor in der Krone der Queen. Übrigens: Weil er auf dem indischen Kontinent gefunden wurde, fordern Indien und Pakistan ihn immer mal wieder zurück.
„Ob das eine heiße Spur ist? Indische oder pakistanische Patrioten bringen das kostbare Stück heim.“
Der Onkel schüttelt den Kopf. „Warum sollten sie vorher in Wien stehlen? Das ergibt keinen Sinn. Kommen wir zur Hauptsache, ich sehe dass du es kaum erwarten kannst.“ Recht hat er - und holt schon wieder weit aus: eine Geschichte aus seinen Anfängen, genauer: die Sache mit dem Urin in öffentlichen Schwimmbädern. Jeder weiß, fast alle Kinder und viele Erwachsene machen Pippi im Schwimmbad. Fühlt sich angenehm an und keiner merkt was. Einige Schwimmbadbetreiber wollten dem einen Riegel vorschieben; wegen der Volksgesundheit und der guten Sitten und baten Baldur um Rat. Der entwickelte eine absolut harmlose kleine Chemikalie, die zusammen mit Urin zu einer wunderschönen blauen Farbreaktion führte.
„Und? War es ein Erfolg?“, frage ich und sehe im Geiste überall blaue Wolken rings um die kleinen und großen Übeltäter.
„Erfolg? Es war ein totaler Flop. Die Leute trauten sich nicht mehr in die städtischen Schwimmbäder, nahmen lieber weite Anreisen in Kauf zu irgendwelchen Kiesgruben und einsamen Waldseen. Keiner wollte es genau wissen, wie übrigens bei den meisten Wahrheiten. Das Ergebnis: Ich blieb auf meinen Entwicklungskosten sitzen.“ Triumphierend: „Die Arbeit hat sich trotzdem gelohnt, wenn auch mit mehrjähriger Verspätung. Die Blau-Marker in den Infrabereich übertragen, dann virtualisieren, die Objekte scannen und die Information über eine höhere Dimension hinüber schicken. Kurz, ich habe die Aura der Kronjuwelen mit einem schönen Königsblau geimpft. Es ist wie bei einem hoch ansteckenden Virus.
Wer immer sich mit Hilfe meines Transporters an den geimpften Objekten vergreift, wird binnen weniger Stunden königsblau, und zwar von Kopf bis Fuß. Die Reaktion lässt sich nicht stoppen und ist unumkehrbar. Naja, bis ich ein Gegenmittel entwickelt habe. Auf diese Weise kriegen wir sie. Na, was sagst du dazu?“
„Du bist ein Genie. Das größte Genie aller Zeiten.“
„Sonst nichts?“
Typisch Onkel Baldur...
Später kommt Theo hinzu und hört sich die ganze Geschichte in Kurzfassung an. Er meldet Bedenken: „Was ist, wenn die Queen zu einer besonderen Gelegenheit, Parlamentseröffnung oder Staatsempfang ihre Juwelen tragen will? Wird sie dann auch gefärbt? Ich meine, dass sie adlig, also blaublütig ist, wissen wir alle. Aber so deutlich muss sie es nicht zeigen.“ Der Onkel beruhigt ihn. Nur bei Kontakt mit seiner Hyperenergie erfolgt die Blaufärbung. Im übrigen hatte er nicht die Zeit und Gelegenheit, alle Objekte zu scannen. Kontrollen überall. Nein, er musste sich für ein, zwei Objekte entscheiden, und da war mein Täterprofil hilfreich.
„Was meint ihr, wofür ich mich entschieden habe?“, seine Frage mit denkbar listigem Gesichtsausdruck.
„Für die Krone mit dem Ko-i-Noor“, platze ich heraus.
„Für die Krone der Queen Elizabeth, die mit dem Ko-i-Noor“, wiederholt Theo bedächtig. „Artur hat mir seine Täterprofile vorgestellt. Es gibt keine andere Lösung“. Er klopft mir auf die Schulter, und ich bin mächtig stolz. Die Queen kann jederzeit ihre Kluncker anlegen, ohne dass etwas passiert. Aber die Täter! Mögen sie ruhig kommen. Ich sage nur:
Wehe ihnen!