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II. Zum Valentinstag (14. Februar) löschen!

II. 3 Zum Valentinstag am 14. Februar oder Nachdenken über die Liebe

Biene - ich liebe dich -



Die Liebe. Als 15-jährigen traf sie den Schriftsteller Navid Kerman, wie er in einem melancholischen Rückblick schreibt. Ein schmales Buch über die bedingungslose, die unbedingte, alle Grenzen missachtende, die erste große Liebe. Lesend erinnere ich mich an die eigene erste Liebe, an folgende Verliebtheiten, an Jahrzehnte der Normalität, erinnere das nicht mehr erwartete, überfallartige Betroffensein von jener Urgewalt, die unabhängig vom Alter jeden treffen kann. Sie überfällt selbst Jene, die sich im Alltag eingerichtet haben, lebenserfahren und skeptisch gegenüber jedem Gefühlsüberschwang. Sollen wir uns wirklich freuen, wenn eben diese Urgewalt uns trifft und nochmals, vielleicht zum letzten Mal das Leben in gleißendes Licht taucht?

Während ich mit Navid Kerman lächelnd erinnre – wie gut kennen wir die Gefühlstiefe, die Gefühlsverwirrung junger Liebender, ist es doch auch unsere eigene Jugend, die wir erinnern, - schiebt sich ein inneres Bild vor meine Augen, überdeckt die Worte des Schriftstellers: Große etwa 50 cm hohe Schriftzüge auf einer Mauer. Buchstaben. Worte. Gesprüht auf die Innenseite einer Straßenbrücke vor den Toren unseres Städtchens. Über Jahrzehnte erhalten, inzwischen durch einige Graffiti verunstaltet, aber immer noch gut leserlich. Biene ich liebe dich. Jedes Mal, wenn ich vorüber fahre, sehe ich es und muss nachdenken über Biene. Wer ist sie und wie mag es ihr nach so vielen Jahren gehen? Ich hoffe, sie lebt noch und ist glücklich. Hat sie geheiratet, vielleicht sogar den Schreiber der Liebeserklärung? Haben beide Kinder, zwei oder drei, die deutsche Durchschnittszahl? Leben sie noch in meiner Stadt, haben sie ein Haus gebaut, mit einem Garten, in dem die Kinder früher tollten, als sie noch klein waren? Inzwischen sind die Kinder wohl fort gezogen, kommen manchmal oder regelmäßig mit den Enkeln zu Besuch. So vergeht die Zeit. Wie mag Biene jetzt aussehen? Ob ihr Kleidergröße 38 noch passt? Ich fantasiere sie in Größen von 38 bis 48, lasse ihn entsprechend zunehmen. Dann hätten sich beide äußerlich angeglichen wie man das bei älteren Ehepaaren häufig trifft. Seine Liebeserklärung öffnet meiner Fantasie ein weites Fenster, durch das ich mich beider Leben annähere. Spiel der Möglichkeiten: Biene seit vielen Jahren nicht mehr hier, mit einem anderen verheiratet, dem sie in die Großstadt gefolgt ist. München? Dann wieder allein. Zum Altstadtfest kommt sie regelmäßig, trifft sich mit Freunden, ehemaligen Mitschülern. Führt ihr eigenes unbekanntes Leben. Manchmal, mit leichter Wehmut denkt sie an den Schreiber der Liebeserklärung. Seinen Namen weiß sie noch. Oder doch nicht. Hieß er Klaus, Thomas oder Kevin? Vielleicht der Sohn des griechischen Gastwirtes, freundlich, charmant, gut aussehend. Kein Wunder, dass die Mädchen ihn liebten. Falls Biene und ihr Verehrer noch unter uns wohnen, lesen sie regelmäßig oder von Zeit zu Zeit die Liebeserklärung an der Wand, Zeugnis ihrer überschwänglichen Jugendliebe? Wie mögen sie jetzt darüber denken? Ich möchte rufen: Biene, liebe Biene, melde dich, erzähl uns von dir und wie du fühltest als du jung warst, erzähl, was dir die Liebe jetzt bedeutet und ob er dir noch etwas bedeutet. Und du, mein Lieber, der Biene so geliebt hat, dass es alle lesen sollten. Liebst du sie noch? Oder magst du wenigstens die Erinnerung an sie und dein (für mich) unsterbliches Biene ich liebe dich.

Ist eine schönere, über Jahrzehnte andauernde Liebeserklärung überhaupt denkbar? Nein.

Darum:

Mögen diese Graffiti keinem Säuberungstrupp zum Opfer fallen.


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