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III. Willi Cohn - die Breslauer Tagebücher

Gerade habe ich die letzten Einträge Willi Cohns gelesen. Für alle, die es nicht wissen(„nie gehört“), aber wissen sollten, der Historiker und Gymnasiallehrer Willi Cohn liebte seine Stadt Breslau und seine schlesische Heimat so sehr, dass er den absoluten Vernichtungswillen der Nazis nicht erkannte, aus Liebe zur Heimat nicht erkennen wollte - bis es für eine Auswanderung zu spät war. Zeitgleich mit dem Dresdner Romanisten Victor Klemperer notierte er gewissenhaft alltägliche Schikanen, Zeichen der zunehmenden Entrechtung, aber auch jede freundliche Geste auf der Straße, in den Geschäften, jede zuvorkommende, ja, respektvolle Behandlung durch Beamte und Angestellte in den Behörden. Grund sich gegen eine Auswanderung zu entscheiden. Aushalten in der Hoffnung, dass der braune Spuk schließlich am Widerstand der anständigen Deutschen zerbrechen werde. Haben die „anständigen“ Deutschen bedacht, welch fatale Signale sie aussandten, ohnmächtig wie sie waren und unfähig, die Katastrophe abzuwenden? 1941 wurde Willi Cohn zusammen mit seiner Frau und zwei kleinen Töchtern in Litauen ermordet. Zusammen mit Hunderten Breslauer Leidensgenossen in zuvor ausgehobene Gräber hinein geschossen. Unmittelbar vor seinem Tod muss Willi Cohn seinen Irrtum erkannt haben, der nicht nicht nur sein Leben, sondern auch das von Frau und Kindern kostete.

Warum fällt mir hierzu der Name Kashoggi ein, jenes saudiarabischen Journalisten, der ahnungslos in eine Falle tappte und ermordet wurde, weil seine Kritik den Machthabern nicht passte?

Auch er erkannte zu spät, zu welcher Bosheit Menschen fähig sind,

und die Welt geht zur Tagesordnung über, die USA Präsident Trumps voran: Business as usual...

Victor Klemperer rettete im Februar 1945 nur die Bombardierung Dresdens vor der am nächsten Tag angesetzten „Umsiedlung“.

Ein seltener Fall von Kollateralglück...

Hofberichterstattung.

Warum ich heute an Willi Cohn erinnere?

In einem der auf Nazigeschichten spezialisierten TV-Sender läuft eine Dokumentation über Eva Braun, jenes „gesunde bayrische Mädel“ : eine selbstverliebte Person, die, wenn nicht der Führer und seine Entourage im Fokus stehen, sich penetrant in Szene setzt. Dies während im Reich und in den besetzten Gebieten Menschen wie Willi Cohn und seine Familie drangsaliert, entrechtet und schließlich umgebracht werden. Wusste sie denn gar nichts? Oder wollte sie wie viele nicht allzu viel wissen, um nicht Stellung beziehn zu müssen? Unberührt von den Ereignissen, Leben im toten Winkel, wie Hitlers Sekretärin Traudl Junge es nannte. Willi Cohn konnte sich in keinen toten Winkel zurückziehn.

Eva Braun als TV-Star. Das ist Hofberichterstattung übelster Sorte. Zum Kotzen.

Vielleicht sollten diese Sender weniger Berichte über Nazibonzen und deren Geliebte, dafür mehr über die Willi Cohns ausstrahlen. Wer den Verlust Schlesiens beklagt, kann sich nach der Lektüre von Willi Cohns Tagebüchern nicht der Einsicht verschließen: Es war gerecht.

Um Einwänden zu begegnen: 100% Gerechtigkeit gibt es nicht. Das Diktum der Geschichte traf die Schicksalsgemeinschaft, damit auch die Gerechten, Schuldlosen. Doch wie hätten sie angesichts der ungeheuerlichen Verbrechen einen Nachlass aushandeln können wie der Noah des Alten Testaments?

Wäre es zu 100% gerecht zugegangen, lebte in dem nach 1945 von Überlebenden des Holocaust besiedelten und verwalteten Kreis Reichenbach heute noch eine jüdische Bevölkerung. Es gibt sie nicht mehr. Nicht zuletzt wegen des weiter grassierenden Antisemitismus wanderten die Bewohner nach Israel aus. Schade.

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