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Alles gelogen (11 + 12)

11. Kapitel

Kinderstreiche und ein demokratisches Lehrstück.

Weil Reisen bildet, dürfen wir, d.h. Benni, Isa und ich, unsere Tante Marga nach Polen begleiten. Tante Marga ist eigentlich unsere Großtante, genauer Vaters und Baldurs Tante, und hat familiäre Verbindungen nach Polen. Wegen Polen und wegen der familiären Verbindungen will auch der Onkel bis zum 1. Stopp dabei sein, bevor er allein nach Warschau weiter reist. Unser 1. Stopp heißt Wroclaw, deutsch Breslau, mit einer bewegten deutsch-polnischen Geschichte. Tante Marga auf die Frage des Reiseleiters warum Wroclaw: „Es wurde höchste Zeit, dass ich mal an dem Ort vorbei schaue, wo ich gezeugt wurde“, worüber der ganze Bus lachte. Ist ja auch eine verrückte, fast unglaubliche Geschichte, wie vieles, was mit dem letzten Krieg zusammen hängt. Sie hat es uns erzählt. Weil die Nazis noch im Sommer 1944 (!) Maschinenbauingenieure für den Endsieg brauchten, schickten sie einen frisch verheirateten jungen Soldaten, ihren Vater, aus der Kaserne bei Bordeaux statt nach Russland zum Kämpfen und Sterben zum Weiterstudium nach Breslau. Als die Kämpfe näher kamen, sollte die Hochschule nach Prag verlegt werden. Die Studenten weigerten sich und landeten in dem Städtchen Mittweida bei Dresden. Rechtzeitig, bevor Breslau zur Festung erklärt und über 80 % zerstört wurde. Kommentar Tante Marga: „Wenn uns ein Unglück passiert, heißt es meistens: zur falschen Zeit am falschen Ort gewesen. Das Gegenteil vergessen wir: zur rechten Zeit am rechten Ort. Das hieß, drei Jahre Langeweile in der Kaserne - was Besseres konnte ihm im Krieg nicht passieren. Danach weiter studieren, keine Kämpfe, keine unmittelbare Lebensgefahr. Übrigens konnte er kein Blut sehen.“ Triumphierender Schlusssatz: “Darum gibt es mich“.

Das nennt man Glück.

Wroclaw ist eine schöne Stadt, buchstäblich auferstanden aus Ruinen. Ich erinnere mich an Baldurs Ansicht, dass kriegszerstörte Städte ihre Seele verlieren und denke mir, wenn die deutsche Bevölkerung die Zerstörung Breslaus nicht verhindern konnte und die aus den polnischen Ostgebieten ebenfalls vertriebenen neuen Bewohner die Stadt wieder aufgebaut haben, dann hat die Stadt eine schöne neue Seele erhalten, in der 1000 Jahre geschichtliche Erfahrungen und Gegenwart zu Wroclaw verschmelzen. Es ist gerecht.

Neu sind die Zwerge, etwa 30 cm hoch, aus Metall gegossen und überall in der Stadt verteilt. Entstanden aus einer Protestaktion gegen die kommunistische Regierung gehören sie zum Stadtbild und haben uns, genauer Benni, auf eine Idee gebracht. Benni kam die Idee auf dem Rathausplatz, als wir vor den ersten drei Zwergen standen. „Wir klauen sie. Genau wie man in Bayern die Maibäume klaut. Wir scannen die Zwerge für Onkel Baldurs Beamer und transportieren sie direkt zu uns. Das wird ein Spaß!" Wir drei machen uns gleich an die Planung. Da, wo die Zwerge waren, werden die Wroclawer einen Zettel mit einem Rätsel drauf finden und müssen suchen. Wer das Rätsel löst, kennt auch das Zwergenversteck. Natürlich bei uns. Mit bei uns meinen wir unsere Stadt, von der die meisten Wroclawer wie die meisten Europäer sicher noch nie gehört haben. Da es einige Hundert Zwerge gibt, fällt die Wahl nicht leicht. Es ist wie beim Schuhkauf. Zum Schluss entscheiden wir uns für die ersten, in unserem Fall für die drei vom Rathausplatz. Das Problem: wird der Onkel einverstanden sein? Mehr. Wird er uns seinen zweiten Beamer leihen? Er leiht, und lacht sogar über Bennis Einfall. Wenn Ihr Erfolg habt, könnte es sogar der Beginn einer Partnerschaft zwischen beiden Städten sein, die eine unzerstört, weil den Planern des alliierten Luftkriegs nicht bekannt, die andere zerstört, weil zu bekannt: die alte Hauptstadt Schlesiens.

Der Gedanke gefällt ihm sichtlich. „Onkel Baldur, dass du solchen Spaß an einem Kinderstreich hast, hätten wir nie gedacht. In deinem Alter!“, kann ich mir nicht verkneifen. Und was sagt der Onkel darauf? Er schüttelt den Kopf, schaut dabei ein bisschen weise, ein bisschen traurig: „Im Grunde bleiben wir ein Leben lang unvernünftige Kinder. Irgendwann werdet ihr es auch merken.“ Für das erste Stadtfest nach Heimkehr der entführten Zwerge will er sich nicht lumpen lassen und einen höheren Geldbetrag stiften.

Genauso ist es gekommen. Natürlich haben wir die drei Zwerge vom Rathausplatz - polnisch Rynek - erst nach der Rückkehr zu uns gebeamt, damit man uns nicht so schnell auf die Schliche kommen konnte. Unser Rätsel auf stabiler weißer Pappe hat für fette Aufregung gesorgt. Damit die Sucher es leichter haben und weil wir nicht gut genug polnisch können, haben wir den Text auf deutsch verfasst – ein erster Hinweis - und nur einige polnische Höflichkeitsfloskeln eingefügt.

Dzien dobry, Einwohner von Wroclaw!

Warum habt ihr eure Zwerge nicht gezählt? Drei sind deshalb ausgewandert und haben bei uns Asyl gefunden. Zwecklos, nach dem Namen unserer Stadt zu fragen. Sucht die drei im Netz, bevor der Ball trifft. Sucht sie auf dem Berg, wo die Freunde des Gerstensafts sich treffen. Sucht sie auf dem Rücken des großen Tieres, wenn sein Reiter es erlaubt. Befreit ihr die drei, soll ein großes Festessen euch lohnen.

Hoch die Gläser und Smasznego!

Drei Freunde Wroclaws.

Und wie wir gefeiert haben. Viel später, genauer zwölf Monate später, als eine polnische Pfadfinderdelegation den Pfadfindern unserer Stadt einen Zwerg aus Wroclaw überreicht. Aber noch ist es nicht so weit, und ich erzähle der Reihe nach: Natürlich haben ein paar schlaue Wroclawer das Rätsel gelöst, sogar binnen weniger Stunden den Namen der Stadt erraten, womit keiner von uns gerechnet hatte, und ihre Zwerge wieder gefunden. Den ersten im Korbballnetz, ausgerechnet vor einem Freundschaftsspiel zwischen Mannschaften beider Städte: Ich war dabei, zusammen mit Theo und Benni. Wir haben mit verfolgt, wie nach dem Anpfiff alle auf das Netz starrten, wo kurz vorher der Zwerg materialisiert war. Perfektes Timing dank Baldurs neuer Zeitschaltung. Der erste Zwerg in weißes Papier von der Küchenrolle gewickelt, damit nicht sofort rauskam, worum es sich handelte. Sie haben tatsächlich den Sicherheitsdienst alarmiert, der mit einer Leiter und Hunden anrückte, den Inhalt zu untersuchen. Hätte ja eine Bombe sein können, wie Benni hinterher meinte. Den zweiten Zwerg fanden sie im Biergarten, als sich beide Mannschaften nach dem Spiel zuprosteten.

Er fiel aus einem Baum mitten zwischen die Feiernden, als hätte er nur auf diesen Augenblick gewartet. Vielleicht hatten wir ihn nicht gut genug befestigt, und die markerschütternden Gesänge im Biergarten ließen ihn herab purzeln. Der dritte, ja, der dritte brachte einer polnischen Pfadfinderin eine kirchliche Rüge ein, weil sie im Dom unserer Stadt auf eines der berühmten Standbilder geklettert war und dort oben aus Leibeskräften „Heureka!“ geschrien hatte. Woher ich das weiß? Isa hat uns die Geschichte brühwarm erzählt. Nachdem die ersten beiden Zwerge gefunden waren, hat sie sich im Dom auf die Lauer gelegt, ist buchstäblich in jeder freien Minute nach der Schule auf einer Bank ganz in der Nähe gesessen, neben sich die Hausaufgaben und ein Gesangbuch. Für alle Fälle. Aber niemand hat gefragt, warum sie den ganzen Nachmittag da sitzt. Am zweiten Tag, um 17:00 Uhr, als alle Touristen das Hauptschiff verlassen haben und sie an dem bekannten Standbild vorbei zum Ausgang schleichen will, da sieht sie es, ein Mädchen in Pfadfinderuniform, dazu das farbige Tuch; einen einfarbigen Rucksack lose in der Hand. Da steht sie, ist etwa in Isas Alter, blickt hinauf, als suche sie etwas auf dem Rücken der steinernen Figur. Schaut gebannt hinauf und bemerkt Isa nicht, die sich geistesgegenwärtig hinter einer Säule versteckt hat und von dort das Folgende beobachtet.

„Das glaubt keiner, der es nicht gesehen hat“, unterbricht Isa ihre Erzählung jedes Mal an dieser Stelle, „sie schmeißt den Rucksack hin – und wie an einem Kletterfelsen hangelt sie sich an einem Hinterbein hoch und schwingt sich ratz fatz auf den Rücken. Dann greift sie dahinter. Wie sie ihn von unten sehen konnte, ist mir heute noch schleierhaft - und holt den Zwerg hervor, hält ihn mit beiden Händen hoch und schreit dazu wie am Spieß. Heureka oder so ähnlich.“ Onkel Baldur und Theo nicken an dieser Stelle beifällig. „Alle Achtung! Die Kleine hat klassische Bildung.“ Heureka! Ich hab's gefunden“, soll Archimedes gerufen haben, als ihm in der Badewanne eine wissenschaftliche Erleuchtung kam. Die Badewanne scheint ein guter Ort für Erfinder zu sein, fast so gut wie das Klo, wo noch mehr Genies fündig werden, wenn man den geschichtlichen Zeugnissen glauben darf. Oder das Bett, behauptet jedenfalls Tante Marga nach jedem ihrer luciden Träume, wie sie das nennt. Ich bin da ganz ihrer Meinung, wenn ich an meine eigenen Träume denke.

An dieser Stelle muss Isa immer wieder „Ruhe,“ schreien, „ich bin noch nicht fertig“, und sie erzählt, wie der Küster plötzlich vor beiden steht und sie zusammen staucht. Hat die beiden Mädchen für Komplizinnen gehalten und sich aufgeregt, von wegen Würde des Ortes, Respektlosigkeit und Hausfriedensbruch. Das mit dem Zwerg hat er in der Aufregung gar nicht so richtig mitgekriegt, und Isa hat alles getan, ihn von Krystinas Beute abzulenken. Krystina, so heißt Isas neue polnische Freundin, und die beiden wechseln jede Menge E-mails. Meistens auf englisch, aber Jede versucht daneben wenigstens ein bisschen die Sprache der Anderen zu lernen.

Insgesamt ein voller Erfolg!

Dem Onkel hat der Zwergenklau samt glücklicher Heimkehr sichtlich Spaß gemacht und ihn wie er seit kurzem verkündet, auf eine neue Idee gebracht. Mehr verrät er nicht.

12. Kapitel

Noch eine polnische Episode, gefolgt vom Auftakt zu einem weltpolitischen Drama

oder

kein Ende der Heimsuchungen

Viele Warschauer sagen, der schönste Ort ihrer Stadt befinde sich hoch oben im Kulturpalast, einem Geschenk Stalins im Zuckerbäckerstil, wie er nach dem 2. Weltkrieg Mode war. Warum der schönste Ort Warschaus? Weil man den Kulturpalast von dort aus nicht sieht. Jetzt muss gelacht werden, damit der Letzte kapiert, die Warschauer mögen den stalinistischen Protzbau nicht.

Andere finden ihn ganz eindrucksvoll, und wie Theo gerne sagt: Die Zeit heilt auch manche architektonischen Sünden.

Soweit die Vorrede.

Vor einer Woche flatterten gleich lautende Schreiben in Warschauer Amtsstuben, Anzeigen erschienen in den großen Zeitungen, und in Windeseile verbreitet sich der Text im Internet. Die Warschauer sind aufgefordert, demokratisch über das Schicksal ihres ungeliebten Kulturpalastes zu entscheiden.

a) zurück an den Absender nach Moskau

b) ihn behalten

Der anonyme Verfasser lässt ihnen acht Tage Bedenkzeit, von denen sechs inzwischen verstrichen sind. Dass die Ankündigung nach der Geschichte mit dem Eiffelturm ernst zu nehmen ist, leuchtet allen ein, und die Warschauer liefern sich heftige Pro- und Contra Diskussionen. Das Ausland guckt zu und diskutiert mit. Und wir?

„Wir waren das nicht“, sagen Benni, Isa und ich bei bekannt werden der Botschaft. „Onkel Baldur, warst du das?“ Onkel Baldur schweigt.

Medien und Meinungsforscher prophezeien ein spannendes Kopf-an-Kopf-Rennen. Britische Wettbüros nehmen Wetten auf den Ausgang der Volksbefragung an. Warschauer Hotels und Pensionen sind ausgebucht, denn mehr oder weniger offen spekuliert eine wachsende Zahl von Sensationstouristen auf ein 'Nein'. Motto. „Nachdem wir Paris und Wuppertal verpasst haben, wollen wir wenigstens dabei sein, wenn der Kulturpalast Richtung Moskau abhebt.“

Hermannsdenkmal: gestern

Hermannsdenkmal: heute

(fotografiert vom Fernseher; Artur )

Heute Nacht hat es die höchste Statue Deutschlands, das Hermanns Denkmal erwischt. Mitten im Teutoburger Wald ist der Cheruskerfürst vom Sockel gefallen, die vierteilige Treppe hinunter gepoltert und liegt mit verbeultem Eisen- und Kupferblech auf dem Vorplatz. Genau dort, wo sich tagsüber die Touristen drängen. Glück, dass bei Nacht niemand sich dort aufhielt. Pech, dass es deshalb weder Fotos, Filme, noch Zeugenberichte gibt.

Die unbekannten Attentäter haben seine Füße unterhalb der strammen Waden buchstäblich in Luft aufgelöst und auch den gallischen Hahn mitgenommen, auf den er in typischer Siegerpose von 1870/71 einen Fuß gesetzt hatte. „Wir waren das nicht", rufen Benni, Isa und ich aus einem Mund. „Ich war das nicht“, knurrt der Onkel.

Also können es nur die Attentäter von Nürnberg gewesen sein. „Vielleicht haben sie es auf nationalistische deutsche Denkmäler abgesehen. Heute würde man so etwas nicht mehr bauen.“ Stimmt. Aber gleich zerstören? Nein, das geht gar nicht. Vielleicht üben sie noch. Wir müssen wohl weiter warten....

und befinden uns mitten in einer Anschlagserie.

Ausgerechnet am Tag des polnischen Volksentscheids verschwindet aus dem Jewel House im Tower of London eines der wertvollsten Stücke aus dem britischen Kronschatz: die Krone der Queen Elizabeth mit dem berühmten Koh-i-Noor. Unbezahlbar. Scotland Yard steht Kopf, und natürlich werden Bezüge zum Wiener Raubzug hergestellt. Das Motiv scheint ähnlich, zwei symbolischer Akte, denen bald ein Bekennerschreiben folgen sollte. Folgt aber nicht. Ein Tag nach dem andern vergeht und nichts passiert. Wie nach den Wiener Ereignissen. Man kann sich die Aufregung in Europa und der Welt vorstellen.

Wen wundert, dass dabei fast das Ergebnis des polnischen Volksentscheids an zweite Stelle gerät. Wir haben zwischen den einzelnen Kanälen gezappt, um ja keine Neuigkeit zu verpassen. Sensation! Die Warschauer wollen zu fast 60% ihren Palast behalten. Bei den 40% Neinsagern vermuten viele, nach den Ereignissen von Paris und Wuppertal wollten sie sich ein ähnliches Schauspiel in Warschau nicht entgehen lassen. Also kein politischer Entscheid, sondern jede Menge sensationsgeiler Trittbrettfahrer bei den 40%. Der russische Botschafter zeigt sich zufrieden und lässt eine versöhnliche Rede zu den polnisch-russischen Beziehungen vom Stapel.

„Sehr vernünftig“, lobt der Onkel, „man muss sich zu seiner Geschichte bekennen, auch zu den weniger beliebten Abschnitten. Ich gedenke mir eine kleine Wohnung im obersten Stockwerk zu nehmen. Schon wegen der Aussicht.“

Das Wohnungsprojekt muss noch warten; „denn jetzt“, verkündet er mit breitem Grinsen, „schnappen wir uns die Täter.“

Wie immer hat Baldur an alles gedacht, umsichtig geplant, die technischen Vorkehrungen getroffen und wie eine Spinne geduldig gewartet, bis sich die Beute im Netz fängt.

Das Netz: sein Hyperraumspürer, verbunden mit einer speziellen, von ihm konstruierten Parabolantenne in seinem Garten, Reichweite über 1000 km und seit seiner Londonreise empfangsbereit. Sie registriert jede Veränderung in der von ihm geimpften Aura der britischen Kronjuwelen.

Die Beute: drei Männer, in der Bildwiedergabe nur schemenhaft zu erkennen, aber das macht nichts. Der Identitätsmarker hat sie erfasst und markiert. An jedem Ort der Welt, wo immer sie sich auch verstecken mögen, werden wir sie aufspüren, einkreisen und festnehmen. Schon wegen der Blaufärbung, die innerhalb weniger Stunden den ganzen Körper erfasst. Wo mögen sie in diesem Augenblick stecken?

„Nach der ersten Peilung wieder zurück in Deutschland.

Wahrscheinlich daheim in der Badewanne oder unter der Dusche. Ich schätze“, er schaut auf seine Uhr, „seit etwa zwei Stunden versuchen sie, die Farbe abzuwaschen“.

Er klatscht in die Hände: „Auf geht’s. Pack deine Zahnbürste ein und sag Theo Bescheid. Wir müssen die drei erwischen, bevor sie in der Panik auf dumme Gedanken kommen. Und kein Wörtchen an Benni und Isa. Die zwei fehlten uns noch.“

Ganz so schnell wie gedacht ging es doch nicht. Theo wollte dabei sein, um uns vor Dummheiten zu bewahren, Jenny ließ sich nach ersten Andeutungen nicht abschütteln, und dann mussten wir Isa und ich auch noch ins Boot, vielmehr Onkel Baldurs neues Automobil, das seinen Namen zu Recht trägt: vier Passagiere unterwegs nach Leipzig und ein Fahrer am Steuer, der den Autopiloten die ganze Arbeit erledigen lässt. Diesmal ohne Benni, den ein gütiges Schicksal diese Woche ins Schullandheim entführt hat. Einschließlich Wochenende.

Nach Leipzig fahren wir, weil sich im Großraum Leipzig die Gesuchten aufhalten. Baldur hat sie auf dem Bildschirm seines Ortungsgeräts, das wie ein Navi funktioniert und uns binnen weniger Stunden zum Ziel bringt.

Das Ziel liegt in einem Außenbezirk. Nicht im Zentrum. Egal. Hauptsache nicht in Potsdam, Hauptsache nicht in der Zeppelinstraße, wo Peter Pelzig wohnt. Das war unsere größte Befürchtung vor der Fahrt. Wenigstens stecken Pelzig und sein missratener Sohn nicht hinter den Raubzügen.

Das hätte uns noch gefehlt!

Von dem, was in der nächsten Stunde und in den folgenden Wochen geschieht, erfahre ich leider nur in groben Zügen und kann das Ganze deshalb nur grob wieder geben. Schließlich bin ich kein allwissender Erzähler, sondern ein normaler 16-jähriger Schüler mit etwas mehr Fantasie als seine Altersgenossen. Wer mehr wissen will, muss bei Baldur und Theo nachfragen. Vor allem bei Jenny, der wir zu verdanken haben, dass die Sache für alle Beteiligten glimpflich, um nicht zu sagen glücklich ausgegangen ist. Mehr noch: mit den schönsten Hoffnungen für die Zukunft. Aber davon später. Wie gesagt, es handelt sich um die Zukunft, und wer könnte Zukünftiges voraussagen außer Onkel Baldur und vielleicht manchmal Tante Marga.

„Wir sind da“, verkündet der Onkel und hält uns das Ortungsgerät entgegen. Auf dem Bildschirm pulsieren drei grüne Pfeile, weisen auf eine Hausnummer 12. Baldurs Auto stoppt so selbständig, wie es uns bis hier her gebracht hat. Wir halten in einer Straße mit älteren Mietshäusern. Der Putz bröckelt an mehreren Stellen, die Fenster scheinen seit der Wende noch nicht ausgetauscht, und die Haustüren bräuchten einen frischen Anstrich.

Wer in diesem Haus wohnt, muss garantiert keine hohe Miete zahlen. Mein Täterprofil!

„Dein Täterprofil!“

Theo hat das Gleiche gedacht. Drei junge Männer mit Problemen, die sie auf einen Schlag los werden wollen. Durch eine Tat die Aufmerksamkeit der Welt erregen, Ausgleich für alle erlittenen Kränkungen, sich für alle Zeiten einschreiben ins Guinessbuch der Rekorde. Friede den Hütten, Krieg den Palästen! Oder so ähnlich. Gerechtigkeit. Gerechtigkeit. Das ist es.

„Jenny und ich gehen alleine hinauf. Ihr bleibt hier!“ Baldurs Stimme duldet keinen Widerspruch, und selbst Theo fügt sich. So eine Ungerechtigkeit. Isa und ich beschweren uns um die Wette. Zwecklos, und Baldur lässt sich zu einer Erklärung herab.

„Ich brauche diesmal Jenny, nicht Theo. Eure Mutter ist bekanntlich Fachfrau für alle Arten von Katastrophen. Sie hat gelernt, Katastrophen zu entschärfen mit Worten und Taten, wenn nötig, Vertrauen zu schaffen. Also lasst uns gehen – und haltet den Mund!“

Er überlässt uns das Ortungsgerät, nachdem er die wichtigsten Funktionen erklärt hat, und dann klingelt ein harmlos aussehendes Paar an der Tür, natürlich zu einer Nachbarwohnung, für einleuchtende Erklärungen ist Jenny bestens gerüstet. Die Haustür öffnet sich und beide verschwinden. Der Bildschirm zeigt undeutlich zwei Gestalten vor einer Wohnungstür im 2. Stockwerk, drei in der Wohnung dahinter. Eine nähert sich auf das Klingelzeichen, blickt offenbar durch eine Art Sucher, zögert eine lange Weile, dass wir schon denken: alles umsonst – und öffnet schließlich die Tür einen Spalt. Wieder geschieht eine Weile nichts, und dann lassen sie die beiden eintreten. Fünf schemenhafte Gestalten in der Wohnung. Eine Weile stehen sie und reden, dann setzen sich alle fünf, ob auf Stühle oder ein Sofa lässt sich nicht erkennen. Sie scheinen etwas zu verhandeln, gestikulieren wild. Eine Gestalt geht zur Wohnungstür, die Treppe hinab, ohne dass die anderen ihr folgen, öffnet die Haustür – und vor uns steht der Onkel. „Du?“ rufen wir wie aus einem Munde. „Ich, wer sonst? Da gibt’s nichts zu glotzen. Jenny hat mal wieder die Verhandlungsführung übernommen. Warten wir's ab.“ Mit der undurchsichtigen Miene eines Hütchenspielers setzt er sich zu uns ins Auto und starrt auf den Monitor. Wir starren ebenfalls und sehen, wie einer der vier aufsteht und etwas aus dem Nebenzimmer holt. Sieht aus wie ein Koffer oder ein großes Paket. Er öffnet es und alle vier beugen sich über den Inhalt. Wir meinen die Ahhs und Ohhs zu hören. ISA: „Wetten, dass sie die Kronen auspacken.“ Theo zu mir: „Du und Baldur, Ihr hattet recht. Die drei haben die Kronjuwelen.“ Gespannt bin ich, wie wir das Problem lösen wollen. Immerhin, wenn sie da oben tatsächlich den Kronschatz ausgepackt haben, ist das ein gutes Zeichen. Sozusagen eine vertrauensbildende Maßnahme. „Jennys Verhandlungsgeschick“, sagt Theo. „Wenn es drauf ankommt, lässt sie sogar das Fluchen sein.“

Nach einer Stunde öffnet sich ein Fenster im 1. Stock, und Jenny schaut hinaus, ihr roter Haarschopf aufgelöst und so wirr, als würde sie ihn mit beiden Händen raufen. Sie wirkt angestrengt, aber nicht unglücklich. „Es wird noch eine Weile dauern. Geht einstweilen ins Eckcafé. Die haben guten Kuchen und Eis. Tipp von den dreien.“ Ohne unsere Antwort abzuwarten, schlägt sie das Fenster zu.

Sie muss es wirklich eilig haben, zurück an den Verhandlungstisch zu kommen. Uns bleibt nichts anderes übrig, als ihrem Rat zu folgen. Eine weitere Stunde vergeht. Isa und ich sitzen satt und zufrieden im Eckcafé, vor uns die leeren Eisbecher, während Theo mit dem Löffel in seiner zweiten Tasse Kaffee rührt und Baldur sich Notizen macht. Er schaut zum xten Mal auf die Uhr, ein Zeichen , dass er sich Sorgen macht. Isa und ich wechseln einen Blick, springen auf: „Wir schaun mal nach; sind gleich zurück“, und fort sind wir, raus aus dem Laden, um die Ecke herum. Da steht unser Auto, wie es vor zwei Stunden schon gestanden ist, außer zwei, drei Passanten niemand zu sehen. „Gehn wir zur Haustür und klingeln“, schlagt Isa vor. Guter Vorschlag, doch als wir vor der Klingelleiste stehn, wissen wir nicht weiter. Wir kennen die Namen der drei Männer nicht und sind nicht einmal sicher, ob sie tatsächlich hier wohnen. Hinter uns hören wir eilige Schritte und Theos Stimme: „Na, wie sieht es aus? Habt ihr geklingelt?“ Und als hätten wir geklingelt, öffnet sich die Haustür. Jenny steht im Türrahmen, mitgenommen, aber glücklich, wie man nach Verhandlungsabschluss nur aussehn kann. Sie hält einen grauen Rollenkoffer in der Rechten, stellt ihn vorsichtig ab, während die Haustür ins Schloss fällt „Setzen wir uns ins Auto. Da sind wir ungestört“. Sie verstaut den Koffer hinter den Sitzen und blickt kurz zum Fenster im 2. Stockwerk, hebt die Hand zum Abschiedsgruß. Ich folge ihrem Blick und meine im Fenster, halb verdeckt von einer Gardine für Sekundenbruchteile ein blaues Gesicht zu erkennen.

„Los! Erzählt! Was sind das für Männer?“ Jenny und der Onkel schaun sich an. „Männer?“ und brechen in schallendes Gelächter aus. Können sich gar nicht mehr beruhigen. Sobald Baldur sich zu beherrschen scheint, prustet Jenny los, lacht und lacht, bis ihr die Tränen übers Gesicht rollen, japst: „Männer? Männer? Schöne Männer! Wie konnte ich nur euren eingefahrenen Vorurteilen folgen. Glauben, dass so ein raffiniertes Bubenstück nur Männern zuzutrauen ist.

Unsere Meisterdiebe, die Scotland Yard und die Wiener Polizei an der Nase herumführen, sind drei reizende junge Damen. Nachdem erste Missverständnisse ausgeräumt waren und das Eis aufgetaut, haben wir uns sehr gut verstanden.“

"Aber warum hat es so lange gedauert? Zwei Stunden, in denen wir wie auf glühenden Kohlen saßen und auf euch warteten.“

Jetzt schaltet sich der Onkel ein, blickt dabei nachdenklich, wie schon lange nicht mehr. Umschreibt, was es mit den dreien auf sich hat. Ja, er umschreibt, gibt auf genaue Fragen nur ungenaue Antworten und erklärt auch, warum.

Er hat versprochen, im Austausch zu den Kleinodien die Geschichte zu einem guten Ende zu führen. Aber sie haben ihm nicht geglaubt.

Er hat daraufhin versprochen, mit seiner überlegenen Technik dafür zu sorgen, dass alle Teile wieder an ihren angestammten Platz gelangen. Sollten Polizei und Behörden ruhig ins Grübeln kommen, er wird das Problem lösen. Aber sie haben ihm nicht geglaubt. Er hat ihnen schließlich das Startkapital und die Chance für ein selbstbestimmtes Leben versprochen, vielleicht sogar für eine internationale Karriere. Was sie aufgrund ihrer Intelligenz und ihrer Fähigkeiten verdient haben und längst erreicht, wären sie nicht in einer Gesellschaft aufgewachsen, die Frauen diese Rechte verwehrt. Aber sie haben ihm nicht geglaubt. Jenny nickt bei jedem Satz ungeduldig und unterbricht ihn schließlich: „Sie haben ihm nicht geglaubt, bis es mir zu dumm wurde und ich die Sache selbst in die Hand genommen habe. Mir vertrauen sie, weil ich eine Frau bin, und ich versprach ihnen, ihre Namen und ihre persönliche Geschichte nicht zu verraten. Wer mir ein Sterbenswörtchen entlockt, den soll dieser und jener holen. Versprochen.“

Nur soviel verrät sie, die Jüngste der drei sei als Vierzehnjährige mit einem fast dreimal so alten Mann verheiratet worden - und weg gelaufen. Seitdem lebt die Kleine in Angst vor seiner und ihrer Familie und entwickelt gleichzeitig grandiose Überlebenstechniken. Grandios wie Jennys Idee, uns zu begleiten. Denn soviel ist klar. Ohne Jennys Verhandlungsgeschick hätten wir uns an den drei Damen die Zähne ausgebissen.

„Und die Farbe? Was ist mit der blauen Farbe?“, wage ich zu fragen. Wenn wir Onkel Baldur glauben dürfen, geht die nie mehr ab, zumindest nicht so lange, bis er ein Gegenmittel entwickelt hat.

„Ach, die Farbe. Ein wunderschönes Königsblau. Sie haben sich noch nicht daran gewöhnt, aber glaubt mir, die Farbe wird der Garant ihres Erfolgs sein.“

Wie soll das gehen? Der Onkel hüllt sich in Schweigen. Jenny nicht. Sie berichtet, was sie laut Absprache berichten darf. Wie beide vor der markierten Wohnungstür im 2. Stockwerk standen, und auf ihr Klingelzeichen niemand öffnete. Dabei wussten sie, dass hinter der Tür mindestens eine Person stand und lauschte. Da ist sie in die Offensive gegangen und hat den dreien auf den Kopf zugesagt, dass sie aussähen, als seien sie in ein Tintenfass gefallen, nicht schwarz, wie beim Struwelpeter, sondern königsblau wie indische Gottheiten. Nur sie, Jenny und ihr Schwager, der äußerst vertrauenswürdige und noch genialere Baldur Schindler könnten ihnen helfen. Da haben sie ihnen vorsichtig die Tür geöffnet, alle drei ein Tuch vors Gesicht gehalten, nicht wegen der traditionellen Sitten. Nein, wegen der blauen Farbe.

Danach war die Überraschung bei Jenny und dem Onkel. Vor ihnen standen nicht die Männer aus meinen Täterprofilen. Hoch gewachsen, durchtrainiert, bewaffnet, eine Mischung aus Angst, Misstrauen und Angriffslust. Gerissene Typen, vielleicht sogar abgebrühte Kriminelle, wie wir sie uns vorgestellt haben. Nein!

Vor ihnen standen drei junge Mädchen, und – unterbricht der Onkel Jennys Erzählung, „eine hübscher als die andere. Gerade geschnittene, schmale Nasen, wunderschöne Augen, ebenmäßige Gesichtszüge, soweit wir es an den Tüchern vorbei erkennen konnten. Aber die Haut: blau, so königsblau, wie wir es ihnen voraus gesagt hatten. Das hat sie überzeugt, uns zu öffnen.“

Angst hätten sie gezeigt - und gleichzeitig Mut, eine Art trotzigen Mut. Wie ihn Menschen zeigen, wenn sie sich in die Enge getrieben fühlen.

In die Enge getrieben aufgrund widriger Lebensumstände, nicht abreißender Pechsträhnen, also Schicksal. Aber auch aufgrund eigener Taten, deren Folgen sie nun ausbaden müssen.

„Was wollen Sie von uns?“

„Wir wollen Ihnen helfen.“

„Niemand kann uns helfen.“

So fing die Unterhaltung an und dauerte geschlagene zwei Stunden, davon eine, in der die Mädels ihnen in feindlicher Abwehr begegneten, bis Jenny den Onkel hinaus warf; die zweite, in der die drei Mädels allmählich Vertrauen fassten und von ihrem schweren Schicksal erzählten. Wie der Onkel schon sagte, darüber nichts zu verraten, musste er den dreien hoch und heilig versprechen. Jenny genauso, der sie unter acht Augen noch mehr erzählten. Naja, wie das so unter Frauen üblich ist, wenn Männer nicht zuhören.

Jenny hat es verstanden, ihr Vertrauen zu gewinnen. Aber nur der geniale Baldur Schindler kann ihnen helfen, nachdem er sich von den Fähigkeiten und Begabungen der drei überzeugt hat. Zusammen mit Jenny haben sie einen Plan entwickelt, sich aus Armut und Abhängigkeit zu befreien, nicht trotz, sondern wegen der blauen Farbe. Natürlich wird der Onkel sie finanziell unterstützen, „bis das Programm steht,“ sagt er. Als Gegenleistung für die Hilfe haben sie die wertvollen Klunker heraus gerückt. Alles sorgfältig in dem Koffer verstaut, der nun hinter dem Rücksitz unseres Autos ruht. Bereit für den Rücktransport.“ „Unrecht gut gedeihet nicht. Jenny hat da Überzeugungsarbeit geleistet, und ich habe etwas Zwang ausgeübt.“

„Zwang?“

„Mit Geld natürlich, was sie anfangs noch misstrauischer machte. Als plante ich, sie in ein deutsches Bordell zu verkaufen.“ Er grinst breit: „Deshalb wird Jenny den finanziellen Teil übernehmen. Das nimmt ihnen für die nächsten Monate alle Sorgen. Wie gesagt, bis das Programm steht.“ Welches Programm? denke ich und frage:

„Und was ist mit dem Mauerspecht und dem Beamer?“ „Haben sie ebenfalls heraus gerückt, zumindest den Beamer. Der Mauerspecht wurde ihnen bei der Flucht aus dem Hotel abgenommen. Mit gezogener Waffe - von einer Person, die sich als Hausdetektiv ausgab." Der Onkel vermutet, dass es sich bei der Person um einen Agenten handelte, möglicherweise Mitglied der Organisation, die ihn seit einiger Zeit überwacht hatte, und wir merken, er ist besorgt. Nicht auszudenken, welche Zerstörungen der Mauerspecht anrichten kann, wenn er in falsche Hände fällt. Noch eine Frage:

„Was machen die Mädels, solange das Blau nicht abgeht?“

Der Onkel grinst: „Manchmal kann selbst die Burka für etwas gut sein.“

Heute früh ist der Onkel nach Wien geflogen und seit einer Stunde zurück. Keine 24 Stunden wollte er warten, die Sache wieder in Ordnung zu bringen. Natürlich hat er die Reichskrone nicht mitgenommen nach Wien, schließlich verfügt er über alternative Transportmittel. Nur den Platz in der Wiener Schatzkammer musste er scannen, damit die spätere Übertragung aus Deutschland funktioniert.

Die Daten aus dem Londoner Tower hat er bekanntlich schon.

Heute Abend zu später Stunde erfolgt der Rücktransport.

Genauer: um 23:00 Uhr, und das ist in 15 Minuten. Vor uns auf Onkel Baldurs großem Schreibtisch liegen beide Kronen. In einem Meter Abstand, damit der hyperenergetische Transportstrahl nicht versehentlich beide erfasst.

Davor die ganze Familie Schindler. Oder fast. Isa und Bennie sind daheim geblieben und schlafen bestimmt schon. Wir haben ihnen erzählt, dass Onkel Baldur uns ins Theater einlädt und ihnen zum Ausgleich eine Kinokarte spendiert.

Isa: „Dann schaue ich fern.“

Benni: „Theater? Ist ja ätzend. Ich werde lieber eine Zivilistion vernichten. Am PC.“

Da sieht man es wieder. Für Benni geht nichts über Technik. Wenn der wüsste, was wirklich auf unserem Abendprogramm steht. Dieses Theater würde er sich nicht entgehen lassen...

Seit einer Stunde bauen Baldur und Theo an den Apparaturen, justieren, messen, kontrollieren und bewundern immer wieder die Kronen, fassen sie mit Einweghandschuhen, drehen und wenden, ja, streicheln sie zärtlich. So, als könnten sie nicht loslassen, während Jenny beiden kopfschüttelnd zuschaut.

„Es ist wegen der verdammten Aura“, erklärt sie mir. „Gut dass ich unter den Spinnern und Wirrköpfen in unserer Familie die einzige Realistin bin.“

Sie stemmt ihre Arme in die Seiten. Erneutes Kopfschütteln. „Meschugge“ und wendet sich wieder ihrer Lektüre zu.

Besondere Sorgfalt legen die Brüder aufs Duplizieren.

„Da brat mir einer einen Storch“, Jennys Kommentar, als die zweiten Originale vor uns entstehen und – kaum sind sie materialisiert- sich wieder in Nichts auflösen. „Wohin sind die jetzt verschwunden?“

„Zu den geretteten Kulturgütern in mein Lager bei Berlin. Funktioniert über eine von mir programmierte Zwischenschaltung im Hyperraum und spart enorm viel Zeit.“

„Baldur, du Hundskrüppel, sieh zu, dass sie dich nicht erwischen. Dann herrscht Heulen und Zähneklappern.“ Zu uns: „Wenn erst die Handschellen zuschnappen, will's keiner gewesen sein.“ Jenny droht uns mit hoch erhobenem Zeigefinger. Dass sie immer das letzte Wort haben muss. Sie wird doch nicht...? Ich schaue erschrocken.

Jenny: „Keine Sorge. Ich verpfeif' euch nicht.“

23:00 Uhr.

Der Onkel feierlich: „Das Unternehmen Kronschatz läuft. Wir beginnen mit Wien. Artur, als jüngstes Miglied unseres Rettungsunternehmens darf den Rücktransport auslösen. Drück auf den linken Knopf.“ Zitternd vor Aufregung drücke ich den Knopf. Die deutsche Reichskrone verschwindet vor unsren Augen mit dem bekannten Plop. Zurück bleibt für einige Sekunden eine Wolke kreisend blitzender Sterne, die sich allmählich auflöst. Wie ein Widerschein von Gold und Edelsteinen.

„Wow!", sage ich und „Befehl ausgeführt.“

„Und jetzt den anderen“.

„Ich höre und gehorche.“ Die britische Krone verabschiedet sich ähnlich eindrucksvoll: mit sprühendem Funkeln des Ko-i-noor

„Gut gemacht. Artur. Spätestens übermorgen erfahren wir das Ergebnis aus den Medien.“

Ich bin stolz.

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