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III. Theorie und Praxis

  • Autorenbild: Ingrid L. Ruff
    Ingrid L. Ruff
  • 27. Dez. 2016
  • 3 Min. Lesezeit

Theorie und Praxis I Entschuldigung

Meine Freundin fühlt sich in ihrer Stadt nicht mehr wohl. Sie sagt, ihr Unbehagen hat einen Grund.

Auf Schritt und Tritt begegnen ihr dunkelhäutige, Menschen, Kopftuchfrauen, ein Kind an der Hand, ein zweites im Kinderwagen, das dritte im Bauch.

Überall Afrikaner oder Syrer oder Iraker. Egal- jedenfalls Fremde in Aussehen und Verhalten. Im Bus starren sie auf smartphons. Kommt ihr eine Gruppe entgegen, weicht sie aus, überlegt, ob sie die Straßenseite wechseln soll. In den nahe gelegenen Park zu gehen wagt sie nicht mehr. Da liegt der Gedanke nah, warum nicht eine Alternative für Deutschland wählen. Die Partei mit dem Versprechen. Ich halte dagegen, sage, das einzig Beständige in unserer Welt sei der Wandel und spreche von den Chancen, die er eröffnet, den Vorteilen einer offenen Gesellschaft. Sie schaut skeptisch, und ganz sicher bin ich mir auch nicht. Nicht in jedem Fall. Kriminalstatistiken bestätigen ihre Furcht nicht. Sie kennt andere Statistiken. Welche stimmt oder stimmen beide? Ich sehe die Situation nicht so streng wie sie und ehrlich: Wir kennen selbst Flüchtlinge. Sympathische, brave Leute, die sich um Integration bemühen, dem Sprachunterricht gewissenhaft folgen, in der Schule fleißig lernen, und viele Frauen, vielleicht sogar die meisten tragen kein Kopftuch, geschweige denn einen Tschador, eine Burka oder wie sich diese Zeltgefängnisse nennen mögen.

Das war gestern.

Heute berichtet sie: Stell dir vor, ich war mit dem Rad unterwegs, und ein Ausländer hat mich mit seinem Auto angefahren. Vielleicht ein Flüchtling.

Woher weißt du, dass es ein Flüchtling war? Na ja, jung und eher dunkel. Und richtig deutsch konnte er auch nicht, stammelte immer nur Entschuldigung, Entschuldigung, Entschuldigung. Mein Vorderrad war verbogen und ich musste es reparieren lassen.

Ich: Was war mit dem Verursacher? Du hast dir hoffentlich seine Personalien geben lassen und ihm gesagt, dass er für den Schaden aufkommen muss? Gab es Zeugen?

Sie: Ach was. Ich habe ihn weiter fahren lassen. Er tat mir leid.

Theorie und Praxis II Paradies und Fegefeuer

2015. Für Asylsuchende wird ein Film gedreht und ins Netz gestellt (in wessen Auftrag?) Der Film zeigt, wie ein junger, glatt rasierter und sauber gekleideter Mann mit kleinem Handkoffer die Schwelle zum Amt für Asylbewerber überschreitet. Allein. Freundliche Angestellte begrüßen ihn, kontrollieren seine Papiere, händigen ihm andere aus und erklären ihm die nächsten Schritte im Asylverfahren. Schließlich bezieht er ein helles, praktisch möbliertes Zimmer, räumt seine Habseligkeiten in ein Schrankfach und begibt sich zur wohl verdienten Ruhe. Die letzte Einstellung zeigt ihn im Bett, die Decke bis unters Kinn gezogen, die Augen geschlossen.

Wovon mag er träumen?

2015. Über Asylsuchende wird eine Dokumentation gedreht und ins Netz gestellt. Sie zeigt einen leeren Waggon der Deutschen Bahn, in dem Flüchtlinge gereist waren. Auch die Toiletten. Später lese ich, Freiwillige werden gesucht für die Reinigung der Waggons und für durch Vandalismus

beschädigte Unterkünfte - und dass Männer aus dem arabischen Raum sich aus patriarchalem Selbstverständnis weigern zu putzen.

Theorie und Praxis III Interkulturelle Rollenspiele/ Alles Menschen.

Überfordert: Flüchtlinge aus patriarchalisch geprägten Ländern sollen Kultur und Lebensweise unseres Landes kennen lernen. Junge Männer aus Gesellschaften mit traditioneller Geschlechtertrennung, oft puritanisch erzogen, sollen unter Anleitung engagierter Sozialarbeiterinnen lernen, wie Freundschaft, Liebe und Sexualität im Westen funktionieren. Sie üben Mädchen und Frauen ansprechen, auffordern, flirten. Zum Thema Sexualität gibt es Arbeitsblätter mit Zeichnung: schwarzer Mann auf weißer Frau.

Wir sind alle Menschen sagen die Schüler und lehnen Grenzen ab. In der Schule lernen sie Toleranz, offen sein für fremde Länder und ihre Menschen. Vor Gott und dem Gesetz sind alle Menschen gleich. Darum: Liebe ist möglich. Immer und überall.

Als die Journalisten in sein Heimatdorf nach Afghanistan reisten, um zu verstehen, warum der junge Mann seine 16-jährige Freundin getötet hatte erfuhren sie:

Selbstverständlich verbietet der Koran, einen Menschen zu töten. Wie? Sie wollte ihren afghanischen Freund verlassen? In diesem Falle war die Bluttat seiner Ehre geschuldet und somit geboten.

Theorie und Praxis IV. Gleichberechtigung

Die syrischen Familien verbringen einen Nachmittag im Zoologischen Garten der nächsten Großstadt. Väter, Mütter einige Frauen mit Kopftuch, andere ohne. Viele Kleinkinder sind dabei, alle lebhaft, strahlend, und fast jede Mutter schiebt einen Kinderwagen. Am Bahnhof der Nachbarstadt müssen wir umsteigen. Der Fahrstuhl ist ausgefallen, und die Mütter stehen ratlos neben ihren Kinderwagen, helfen schließlich gegenseitig, die Last alle Treppen hinunter und zum nächsten Bahnsteig hoch zu tragen. Was machen die Männer? Bis auf einen Familienvater, der kräftig mit anpackt, schauen sie zu, die Hände in den Hosentaschen...

Als ich es einige Tage später einer Freundin erzähle, die den beiden Ehefrauen eines Asylbewerbers Sprachunterricht gibt, erfahre ich:

Bei einem Besuch fand sie den Ehemann damit beschäftigt, den Backofen zu putzen, während seine Frauen zuschauten. Auf ihren Vorwurf: Ihr könnt doch euren Mann nicht putzen lassen, hätten die beiden entgegnet: Warum nicht? Er tut es doch?

Was lernen wir daraus? Gleichberechtigung muss sich in der Praxis bewähren: in Orient wie Occident.

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