II. Aus dem Nichts
Aus dem Nichts
heißt ein Film über Terror und seine Konsequenzen.
Terror trifft uns unvorbereitet da er gleichsam aus dem Nichts über uns hereinbricht und die alten Sicherheiten auflöst. wir fühlen uns machtlos, ausgeliefert. Aus dem Nichts kann es uns überall treffen, ob in Bahn oder Bus, in einer Menschenmenge, auf einem Volksfest. Neu ist eine existentielle Verunsicherung, die selbstverständlich geglaubte Gewissheiten erschüttert oder gleich hinweg fegt wie: Bei Grün gelangen Fußgänger sicher von einer Straßenseite zur anderen. Rechts- und Linksabbieger haben am Zebrastreifen das Vorrecht von Fußgängern zu respektieren. Autos dürfen nicht auf Bürgersteigen, Lastwagen nicht über Weihnachtsmärkte fahren.
Das Leben ist zu respektieren.
Bisher lag es vor allem an der unberechenbaren Natur, derartige Gewissheiten zu erschüttern. Aus heiterem Himmel kann ein Hagelsturm die Ernte zerstören, mancher Vulkanausbruch kündigt sich nicht an, ebenso wenig waren die Anwohner der Küstenregionen Thailands und Sumatras im Dezember 2004 auf die Tod bringende Flutwelle vorbereitet.
Ödon von Horvath, glücklich den Nazis nach Paris entkommen, wird 1937 auf den Champs Elysées von einem Ast erchlagen. Am 5. Oktober 2017 stirbt die von mir bewunderte Journalistin Sylke Temple unter einem umstürzenden Baum. Aus dem Nichts.
Ich hatte sie bewundert für ihre klugen Beiträge, ihre freundlich sachliche Art. Natürlich, andre werden ihr folgen, doch diese besondere Lücke, die Sylke Temples Tod hinterlassen hat, wird sich nicht mehr schließen lassen – auch ein Nachruf -
Wir alle sind wie Sylke Temple den Launen des Zufalls ausgeliefert. Schicksal nennt man es, auch, wenn es uns unvorbereitet trifft.
Da geht Vertrauen leicht verloren. Vertrauen in die zuverlässige Reihenfolge von Ursache und Wirkung, Vertrauen in den zuverlässig funktionierenden Körper, das diskrete Walten der inneren Organe.
Beschwerden signalisieren die angehäuften Lebensjahre, dahinter hämisch grinsend das Alter. Ich hatte es nicht geahnt: Riss der Rotatorenmanschette der rechten Schulter mit OP und nachfolgender Reha. Aus dem Nichts?
Zumindest ein Bündel möglicher Ursachen bieten de Ärzte an, vom Sturz mit dem Elektrorad zum Stemmen eines Kartons voller Bücher. Die Ursache fast vergessen, weil der Schaden erst mit zeitlicher Verzögerung auftritt.
Darum, weil Abstürze immer drohen, lebe ich nach dem Motto. Wann, wenn nicht jetzt, plane und bewältige „fast“ mühelos im April 2017 ein Nepaltrekking im Anapuragebiet bis zum Poonhill mit bescheidenen 3300 m. Gut vorbereitet seit Februar 2017 durch einen täglichen 45min. Marsch auf den Hausberg daheim. So konnte ich auf die Frage der Sherpas: Ingrid , alles o.k., stets antworten. Alles o.k. Mein Rat : Wenn sich eine Lebenschance bietet: Nicht zögern. Zugreifen! Vielleicht kommt sie nicht wieder, und was aus dem Nichts drohen kann , bleibt uns verborgen.
Ein Trost bleibt. Aus dem Nichts trifft uns nicht nur Unheil, sondern auch das Gegenteil, in Form einer guten Überraschung, eines unerwarteten Geschenks, vielleicht sogar der coup de foudre einer nicht mehr erwarteten Liebe. Vom Himmel gefallen.
Nachtrag. Vom Himmel gefallen ist das Corona -Virus nicht; wir wissen einigermaßen Bescheid über den Ursprung auf einem chinesischen Markt (von infizierten Fledermäusen auf Menschen übergesprungen). Inzwischen hilft uns dies Wissen nicht weiter. Zur Pandemie geworden kann uns das Virus auf allen Kontinenten anspringen, im Flieger, in Bus oder Bahn, auf Kreuzfahrtschiffen, aus Menschenansammlungen heraus - und wir merken es nicht.
Der Angriff erfolgt aus dem Nichts.